Staatssekretärin · Staatsministerium Baden-Württemberg
Sehr geehrter Herr Strauß,
Sehr geehrter Herr Keller,
Sehr geehrte Frau Professorin Traub,
Sehr geehrter Herr Landesbischof July,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schairer,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste.
ich begrüße besonders diejenigen von Ihnen, die heute aus ganz persönlichen Gründen nach Stuttgart gekommen sind.
Sie denken heute an Ihre Angehörigen, an die Großmutter, den Onkel, den Vater, an Schwestern, Brüder, Cousinen und Cousins.
Hier am Nordbahnhof wurden heute vor genau 75 Jahren 260 württembergische Sinti und Roma direkt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.
Hier wird das Grauen, von dem auch bei den Gedenkveranstaltungen im Neuen Schloss und in der Stiftskirche berichtet wurde, konkret.
Hier sehen wir die Gleise, von denen die Züge abgingen, hier blicken wir auf die Tafeln mit den Namen der Menschen, die deportiert und ermordet wurden, hier schauen wir auf die Namen der Orte, wo dies geschah.
Ich bedanke mich für die Gelegenheit, hier am ehemaligen Nordbahnhof, dem Zeichen der Erinnerung, zu Ihnen als Vertreterin der Landesregierung Baden-Württemberg sprechen zu dürfen.
Mit Ihnen zusammen den Gedenktag am ehemaligen Nordbahnhof abzuschließen, ist mir als Koordinatorin des Rates für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg Verpflichtung und Aufgabe zugleich. Es ist mir aber auch ein persönliches Anliegen.
Wir brauchen solche Gedenktage. Sie reißen uns aus dem alltäglichen Leben, sie erinnern uns, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in Frieden und Freiheit zu leben. Sie erinnern uns, welch hohes Gut wir mit unserer Verfassung, mit unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat genießen dürfen.
Dieses Privileg verpflichtet jeden Einzelnen von uns, sich zu erinnern und der Opfer von Unrecht und Gewalt zu gedenken. Wir dürfen nie vergessen: Deutsche Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten haben Elend, Krieg und Tod über ihre Mitmenschen in Deutschland und ganz Europa gebracht.
Die Gleise am Nordbahnhof, der Gedenkort halten die Erinnerung lebendig. Wir haben bereits aus den Erinnerungen von Otto Rosenberg gehört. Wie Otto Rosenberg haben nur wenige Roma und Sinti überlebt.
Wir sehen mit großer Dankbarkeit, dass auch heute noch Roma und Sinti in Baden-Württemberg leben, nachdem ihre Verwandten vor den Augen der badischen und schwäbischen Nachbarn deportiert worden waren.
Sie engagieren sich in unserer Gesellschaft, sie bereichern sie und sie haben mit Ihrem Verband eine wichtige Interessensvertretung für die Belange der Sinti und Roma geschaffen.
Das Erinnern führt in die Gegenwart und Zukunft. Denn auch heute noch gibt es Rassismus in unserer Gesellschaft, Rassismus, der sich auch gegen Roma und Sinti wendet.
Und lassen Sie mich noch aus aktuellem Anlass an dieser Stelle ergänzen:
Es ist beschämend, dass dieser Gedenkort, an dem wir heute stehen, in den letzten Tagen mutwillig beschädigt wurde.
Wir werden uns mit Nachdruck darum bemühen, diesen Vorfall aufzuklären.
Die Landesregierung wird es nicht zulassen, dass Antiziganismus und Antisemitismus einen Keil in unsere Gesellschaft treiben.
Dazu haben wir vor wenigen Tagen auch einen Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus berufen.
Lassen Sie uns heute auch gemeinsam die Botschaft aussenden, dass für Hass und Hetze in unserer Gesellschaft kein Platz ist.
Und genau deswegen sind Orte wie diese wichtig. Die sogenannte große Geschichte wird in Büchern und Ausstellungen dokumentiert. Aber erst an Orten wie diesen setzt das kollektive Gedächtnis seinen Fokus, von dem wir in die Zukunft blicken können.
Und Gegenwart und Zukunft heißen:
Rassismus und Diskriminierungen haben bei uns keinen Platz! Wer glaubt, Erinnerungen oder Gedenken irgendwie beenden oder einen Schlussstrich ziehen zu können, täuscht sich.
Denn die Erinnerungskultur an die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gehört zum selbstverständlichen Grundbestand unseres Staates.
Deswegen bin ich froh, dass es dieses Zeichen der Erinnerung hier am ehemaligen Nordbahnhof gibt. Ich danke allen, die an diesem Gedenken dabei sind und der Erinnerung einen würdigen Rahmen geben:
- dem Verein „Zeichen der Erinnerung“,
- den Schülerinnen und Schüler der Hedwig-Dohm-Schule und der Alexander-Fleming-Schule,
- den Jugendlichen aus Stuttgart-Nord
- der Musikgruppe Rozsak und
- der Ev. Kirchengemeinde Stuttgart-Nord, die nach diesem Gedenken noch in die Martinskirche einlädt
- und natürlich Ihnen allen, die Sie zu diesem Gedenken gekommen sind.
Ich wünsche Ihnen noch einen guten Abschluss dieses Gedenktages und für Ihre Zukunft alles Gute!
Haben Sie vielen Dank!
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