Wie soll man das erklären?
Mit dieser Frage, die Eberhard Jäckel vor 10 Jahren formulierte, von Rudolf Guckelsberger uns so beklemmend nah gebracht und die auch heute noch letztlich nicht zu beantworten ist, möchte ich Sie sehr herzlich begrüßen und für Ihr Kommen danken.
Mein Name ist Andreas Keller, Mitglied des Vorstands von „Zeichen der Erinnerung e.V.“ und ich darf Sie durch unsere Gedenkveranstaltung in den nächsten 2 Stunden begleiten.
Viele Persönlichkeiten würde ich gerne persönlich begrüßen und bitte um Verständnis für den protokollarischen Fehler, nur eine einzige Person beim Namen zu nennen:
Garry Fabian.
Der heute 88jährige ist für die Teilnahme an der Gedenk-VA extra von Melbourne / Australien nach Stuttgart gereist, begleitet von seinen beiden Töchtern Carole und Vicki. Er kam 1934 in Stuttgart zur Welt, die Familie siedelte später ins Sudentenland über, dann nach Prag und wurde im November 1942 von dort in das KZ Theresienstadt deportiert. Seine Eltern und er gehören zu den ganz wenigen Überlebenden. Sie konnten emigrieren und fanden ihren neuen Lebensmittelpunkt an einem Ort, der kaum weiter entfernt von Deutschland sein kann… Wir danken sehr für sein Kommen und die Bereitschaft, später zu uns zu sprechen, im Dialog mit zwei jungen Menschen.
Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten – diese Erkenntnis von August Bebel leitet uns alle in der Erinnerungsarbeit Tätigen und heute gedenken wir in einem Zusammenschluß von etwa 25 Initiativen und Institutionen der Opfer der dritten großen Deportation aus Stuttgart – nach Dezember 1941 nach Riga, April 1942 nach Izbica, nun am 22. August 1942 nach Theresienstadt.
Auf Ihrem Programmblatt finden Sie eine Landkarte des heutigen Baden-Württemberg, in welcher die 58 Orte eingezeichnet sind, aus denen in den Tagen vor dem 21.08.42 fast 1100 Jüdinnen und Juden nach Stuttgart gebracht und in der Ehrenhalle des Reichsnährstands auf dem Killesberg interniert wurden.
Welch logistischer Aufwand war da nötig, um zu gewährleisten, dass alle zur geplanten Zeit in Stuttgart eintreffen – ausgedacht und organisiert von Gestapo-Chef Friedrich Mußgay und seinen Mittätern in der Zentrale im Hotel Silber und unerbittlich vor allem Alte, Kranke, Gebrechliche ins Visier nahm.
Mit deutscher Gründlichkeit und Perfektion, mit vollkommener Schamlosigkeit wurden sie total ausgeraubt, sie verloren die deutsche Staatsbürgerschaft und wurden nach mehreren grauenhaften Tagen / Nächten auf dem Killesberg am 22. August hier vom Inneren Nordbahnhof mit dem Zug DA 505 der Deutschen Reichsbahn nach Theresienstadt deportiert. Nach heutigem Kenntnisstand überlebten von 1.078 nur 48.
Wie kann man das erklären?
Ich darf nun Frau Bürgermeisterin Isabel Fezer und danach Herrn Michael Kashi bitten, zu uns zu sprechen.