Im Herbst letzten Jahres erschien bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg ein neues „Lese- und Arbeitsheft“ über „Die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945“, inhaltlich verantwortet von Dr. Martin Ulmer – Geschäftsführer des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb e.V. Dies führte zu einer engen und höchst fruchtbaren Zusammenarbeit auch im Hinblick auf die heutige Gedenk-Veranstaltung und Auswahl der heute von Jugendguides verlesenen Biografien von Inhaftierten in Theresienstadt. Zunächst hören wir von Auguste Fröhlich aus Rexingen, gelesen von Johanna Rost, Jugendguide im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. bei der KZ-Gedenkstätte Haiffingen.Tailfingen und der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen.
Auguste Fröhlich (1869–1942)
Das Ehepaar Auguste und Max Fröhlich lebte in der schwäbischen Landgemeinde Rexingen bei Horb. Als Hitler 1933 an die Macht kam, waren sie 64 und 65 Jahre alt. Julius Fröhlich war von Beruf Viehhändler.
Julius und Simon Fröhlich, die Söhne des Ehepaars, verließen nach dem Ersten Weltkrieg Rexingen.
Julius Fröhlich gründete in Tuttlingen eine große Viehhandlung mit modernster Ausstattung. Sein Bruder Simon Fröhlich wurde Textilkaufmann. Er heiratete in Wiesenbronn bei Würzburg Martha Münz, deren Eltern eine Textilhandlung unterhielten. Er übernahm die Leitung des Geschäfts.
Die Brüder Julius und Simon entschlossen sich, mit ihren Familien 1937 NS-Deutschland zu verlassen und sich dem Siedlungsprojekt der Rexinger Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina anzuschließen.
Ihr Vater Max Fröhlich starb am 22. Juli 1938.
Im Leo-Baeck-Institut in New York fand sich im Nachlass von Louise Levi, die 1937 in die USA emigriert war, einen Brief von Auguste Fröhlich, in dem sie ihre Situation nach dem Tod ihres Mannes in Rexingen schilderte:
„Liebe Louise…
Meine lieben Kinder sind immer noch in Deutschland. Julius weiß noch nicht ganz Bestimmtes, wann er mit seiner Familie geht, lang wird’s nicht mehr gehen. Mein lieber Simon weiß noch nicht was er macht, er hat sich auch nach Erez (Israel) angemeldet, aber obs zum Klappen kommt, weiß man nicht. Für mich ists keine Kleinigkeit, wenn man sich sagen muss: sieht man sein Kind noch oder nicht?
Der liebe Gott wird mich nicht verlassen und mit mir sein. Wenn ich nur das Bewusstsein haben kann und darf, es geht meinen Lieben gut, dann will ich ganz zufrieden sein. Seit mein lieber Max von mir geschieden ist, komme ich ganz wenig fort. Es zieht mich aber auch nicht fort.
Du liebe Louise, kannst Dir denken, dass ich oft schwarze schmerzliche Stunden verbringe, und doch gönne ich dem Verbliebenen die Ruhe. Ist ihm doch der Abschied von seinen Kindern erspart geblieben.“
Im September 1938 emigrierten Julius Fröhlich mit seiner Frau Elise und seinen vier Kindern ins britische Mandatsgebiet Palästina und schlossen sich der Siedlung Shavei Zion an.
Die Pläne von Simon Fröhlich dagegen zerschlugen sich. Er wurde nach der Pogromnacht im November 1938 in Wiesenbronn verhaftet und im KZ Dachau inhaftiert. Nach seiner Freilassung fasste er mit seiner Frau Martha den schweren Entschluss, den 12jähringen Sohn Heinz 1939 allein nach Palästina zu schicken, um ihn aus NS-Deutschland zu retten. Für sich hatten sie keine Ausreiseerlaubnis erhalten.
Simon Fröhlich gelang es im September 1940 mit seiner Frau von Wiesenbronn nach Rexingen zu seiner Mutter zu ziehen. Sie versuchten sie zu unterstützen, soweit es möglich war.
Simon Fröhlich wurde zu Zwangsarbeit an der Bahnstrecke Stuttgart-Horb verpflichtet. Er, seine Frau und seine Mutter lebten von ihren wenigen Ersparnissen, die sie noch hatten.
Nach der Pogromnacht musste Auguste Fröhlich vier Raten der „Judenvermögensabgabe“ zahlen. Ihre Ersparnisse gingen immer mehr zur Neige.
Ende November 1941 musste sie erleben, wie ihr Sohn Simon und ihre Schwiegertochter Martha nach Riga deportiert wurden. Sie war jetzt allein in ihrem Haus.
Am 11. Mai 1942 schrieben Schweizer Verwandten an Julius und Elise Fröhlich in Shavei Zion im britischen Mandatsgebiet Palästina:
Meine Lieben!
Es sind jetzt schon dreiviertel Jahr her, seit wir von Euch Nachricht hatten und obwohl wir inzwischen schon mehrmals an Euch geschrieben haben, sind wir immer noch im Ungewissen, ob Ihr im Besitz der vielen Karten von uns gelangt seid. Wir sind in Gedanken bei Euch …
Mit Mutter Auguste (also mit Auguste Fröhlich in Rexingen) stehen wir in schriftlicher Verbindung. Die Eltern schicken jeden Monat 20,– Mark durch den Verwalter Krause in Nürnberg. Bis jetzt hat die liebe Mutter Auguste den Empfang immer persönlich durch eine Karte bestätigt. Hoffentlich bekommt sie das Geld auch weiterhin pünktlich.
Lieber Simon und Martel sind beide leider schon seit einiger Zeit „verreist“.
(verreist ist im Brief in Anführungszeichen geschrieben, womit die Deportation der beiden angedeutet wird).
Bis jetzt haben wir noch keine Nachricht von ihnen, aber wir wollen den Mut nicht verlieren und hoffen, dass es ihnen erträglich geht und dass wir auch bald ein Lebenszeichen von ihnen erhalten.
Wir haben auch schon einige Male Liebesgabenpäcken nach Rexingen
geschickt. Da wir aber in der Schweiz aus bekannten Gründen ein vollständiges Ausfuhrverbot haben, so können wir die Päckchen nur von Lissabon aus senden und das dauert immer sehr lange.
Am 22. August 1942 wird Auguste Fröhlich über den Stuttgarter Nordbahnhof nach Theresienstadt deportiert. Am 26. September 42 wird sie von dort weiter nach Treblinka gebracht und dort ermordet.
Ihr Sparkonto verzeichnet für den November 1942 noch zwei größere Abbuchungen.
130 RM werden an die Reichsvereinigung der Juden in Berlin überwiesen, unter anderem für die Fahrtkosten nach Theresienstadt.
500 RM gehen an das Bankhaus Heinz Tecklenburg in Berlin für die Bezahlung des Heimeinkaufvertrages in Theresienstadt.
Den Kontorestbestand von 53 RM und 40 Pfennig zieht das Horber Finanzamt am 11. November 1942 für das Deutsche Reich ein.