vorgetragen von Jessica Reichert, Jugendguide im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. bei der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen.
Dr. Robert Gutmann wurde als fünftes Kind der Fabrikantenfamilie Gutmann am 3. April 1873 in Stuttgart geboren. Mit Auszeichnungen beendete er das Karlsgymnasium und promovierte an der Universität München. 1902 eröffnet er in Stuttgart in der Marienstraße 29 als Praktischer Arzt seine erste Praxis. Seit 1911 wohnte er am Markusplatz 1, im 2. Stock. Dort hatte er dann auch seine Praxis. Im Ersten Weltkrieg arbeitete er im ärztlichen Dienst an mehreren Lazaretten. Er behandelte auch französische Verwundete, die ihm in einer Anzeige öffentlich ihren Dank aussprachen. Dr. Gutmann war nicht verheiratet, den Haushalt führte ihm Frau Pauline Reichenbacher. Sie hat nach 1945 über sein Leiden und Leben einen kurzen Bericht verfasst.
Im März 1933 verfügte die Nazi-Regierung im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, dass nur noch Personen mit sogenannten arischen Eltern und Großeltern Beamte sein könnten.
Dr. Gutmann durfte nicht mehr für Krankenhäuser und Krankenkassen arbeiten, sondern nur noch Privatpatienten behandeln. Bald schon musste Dr. Gutmann Wertpapiere und Wertgegenstände verkaufen, um sich finanziell über Wasser zu halten.
Durch die Nürnberger Gesetze vom September 1935 wurden die deutschen Juden von Reichsbürgern zu Staatsangehörigen degradiert, Eheschließungen zwischen Juden und nicht-Juden oder geschlechtlicher Umgang wurden als sogenannte Rassenschande verboten. Selbst die Beschäftigung von weiblichen Personen unter 45 Jahren in jüdischen Haushalten wurde untersagt. Zum Glück von Dr. Gutmann war Frau Reichenbacher schon einige Jahre älter.
Im August 1938 verbot ein neues Gesetz den jüdischen Medizinern die Bezeichnung „Arzt“. Als sogenannte „Krankenbehandler“ durften sie nur noch jüdische Patienten versorgen. Am 1. September 1938 forderte eine neue Vorschrift, dass jüdische Männer zusätzlich den Vornamen „Israel“, jüdische Frauen den Vornamen „Sara“ führen mussten.
Aus Robert Gutmann war nun der Krankenbehandler Dr. Robert Israel Gutmann geworden.
Auch in Stuttgart brannte am 9. November 1938 die Synagoge. Juden durften nun keine Konzerte, Kinos oder Theater, jüdische Kinder keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, ihre Führerscheine wurden eingezogen, ihre Zeitungsabonnements storniert. Ab dem 1.September 1941 mussten jüdische Männer, Frauen sowie Kinder ab 6 Jahren deutlich sichtbar den gelben Judenstern tragen.
Zu diesem Zeitpunkt wohnte Dr. Gutmann schon nicht mehr am Markusplatz 1. Die Gestapo versuchte mittels des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom April 1939 alle Häuser, in denen Juden und nicht-Juden unter einem Dach lebten, „judenfrei“ zu machen. Juden verloren ihren Mieterschutz und mussten in sogenannte Judenhäuser umziehen. In Stuttgart befanden sich damals noch etwa 200 Häuser mit jüdischen Besitzern.
1933 lebten etwa 4.900 Juden in Stuttgart, 1939 waren es noch etwa 2.500. (72)
Auf Anordnung der Gestapo musste die Hausbesitzerin von Markusplatz 1, Frau Brust, ihrem Mieter, Dr. Gutmann, nach 30 Jahren schweren Herzens kündigen. Mit seinen fast 70 Jahren war Dr. Gutmann 1941 nun gezwungen, in das Haus einer jüdischen Familie, die später deportiert wurde, in die Ameisenbergstraße 57B umzuziehen, in einen kleinen feuchten Raum im Untergeschoss zwischen Waschküche und Holzstall.
Im März 1942 zwang die Gestapo den inzwischen an Darmkrebs Erkrankten, sich für mehrere Tausend Reichsmark in ein sogenanntes Zwangs-Altersheim einzukaufen. Nicht mal ein halbes Jahr wohnte Dr. Gutmann in dem heruntergekommenen Schloss Dellmensingen bei Ulm. Von dort wurde Dr. Gutmann am 19. August 1942 mit vielen anderen Alters- und Leidensgefährten nach Stuttgart auf den Killesberg in eine Halle der ehemaligen Reichsgartenschau verbracht, um dann über den Inneren Nordbahnhof nach Theresienstadt, einer ehemaligen österreichischen Festung nördlich von Prag deportiert zu werden.
Dr. Gutmanns Leben endet im KZ Theresienstadt. Eine Überlebende berichtet, dass Dr. Gutmann schon Anfang September 1942 gestorben sei, in einem kahlen Raum, auf ein bisschen Strohliegend, hilflos, von unzähligen Schmeißfliegen bedeckt, sich vor Schmerzen krümmend. So endet das Leben eines Mannes, nur weil er ein Jude war.