Roland Ostertag, 1. Vorsitzender des Vereins ZEICHEN DER ERINNERUNG, 15. Juni 2oo6
VOM WERDEN EINER GEDENKSTÄTTE IN STUTTGART
In diesen Jahren jähren sich die 6o-Jahre Jubiläen, Höhe-/ meist Tiefpunkte und Ende des schrecklichsten Kapitels unserer Geschichte, des dritten Reiches. Jubiläen nicht zum Jubilieren, sondern zum Nachdenken, zum Erinnern:
° 1941 – 1945 Deportation der Juden aus Stuttgart in die Vernichtungslager,
° 1944 Offensive der Alliierten in Italien, der Normandie, der sowjetischen Armeen im Osten
° am 2o. Juli 1944 Versuch Claus Graf Schenk von Stauffenbergs dem grauenhaften Regime durch die Beseitigung Hitlers ein Ende zu bereiten, das weitere Leiden, Millionen weiterer Toten und die Zerstörung weiterer Städte zu verhindern.
° in den Sommer- und Herbstmonaten 1944 Zerstörung Stuttgarts durch Luftangriffe.
° Januar 1945 Befreiung von Auschwitz und anderer Konzentrationslager.
° April/Mai 1945 Ende des Schreckens.
Stuttgart hatte bis 1933 eine lebendige jüdische Gemeinde, nahezu 5ooo Mitglieder. Wie in ganz Deutschland wurden auch in Stuttgart, vor allem seit dem Pogrom am o9.November 1938 , die jüdischen BürgerInnen drangsaliert, unterdrückt und vertrieben. Viele emigrierten, im Frühjahr 1939 waren es noch ungefähr 24oo, bei Kriegsbeginn ungefähr 2ooo jüdische Einwohner. Mit Kriegsbeginn eskalierten die Unterdrückungsmaßnahmen, die Selbstver- waltungsorgane der israelitischen Religionsgemeinschaft wurden aufgelöst, die zur Jahres- wende 194o/41 verbliebenen rund 18oo Juden wurden in 2oo „Judenwohnungen“ in der Stadt und in umliegende Orte zwangsumquartiert. Ab 19. September 1941 war das Tragen des „Judensterns“ in der Öffentlichkeit Pflicht. Mitte November wurden 16 Städte/Orte , darunter auch Stuttgart, bestimmt von denen aus Juden in das „Reichskommissariat Ostland“ deportiert werden sollen, 1ooo Juden aus Stuttgart, Württemberg und Hohenzollern. Als Sammelstelle wurde die 2 Jahre vorher errichtete „Ehrenhalle des Reichsnährstandes“ im Reichsgartenschaugelände auf dem Killesberg festgelegt. Frühmorgens am o1.Dezember 1941 wurden die Menschen in den von der Reichsbahn bereitgestellten „Sonderzug“ im Stuttgarter Nordbahnhof neben der Martinskirche verladen und von dort in das Lager Riga- Jungfernhof transportiert. Am 26.März 1942 wurden die meisten der aus Stuttgart und Umgebung Deportierten von SS- und Polizeiverbände erschossen, 28 von 1ooo Personen überlebten. Ende 1941 lebten noch knapp 5oo Juden in Stuttgart. Es folgten weitere Deportationen nach Izbica bei Lublin, nach Auschwitz, nach Theresienstadt, im Ganzen rund 1o Transporte, die meisten vom Stuttgarter Nordbahnhof. Herbst 1942 lebten noch rund 3oo, 1945 nur noch rund 1oo Juden in unserer Stadt. Die meisten der wenigen Überlebenden und aus den Vernichtungslagern Zurückkehrenden suchten ihre neue Heimat in der Emigration. Die neue jüdische Gemeinde wurde von früheren jüdischen Bürgern gegründet.
Doch danach begann in Deutschland, der Bundesrepublik das große Schweigen. Vieles wird in diesen Jahren 6o Jahre, denk- und gedenkwürdige Jahre. Seit 1945 hatten wir viel Zeit, zwei Generationen über unsere verhunzte Geschichte, über die Shoa, den Holocaust, wie wir mit unseren jüdischen MitbürgerInnen umgegangen sind, nachzudenken. Auch zu gedenken. Doch Normalitätssehnsucht beherrschte unser Denken und Handeln, Verdrängung, Schweigen, das zum Verschweigen wurde, waren die Folge. In diesem Zusammenhang fällt oft das Wort Vergangenheitsbewältigung. Doch Vergangenheit kann man nicht bewältigen, weder temporär noch für immer, weder subjektiv, noch kollektiv. Zu der muss man stehen, damit muss man leben.
In unserer gedanken- und gedenkenleeren Gesellschaft, der kollektiven Amnäsie, des allgemeinen Gedächtnisschwunds, ist vieles von unverständlicher Dauer. Wenn unsere Kinder fragen, warum habt ihr so lange zum Erinnern gebraucht, dann kommen wir in Verlegenheit. Wie in den meisten Städten, so auch in Stuttgart nur bescheidene Hinweise auf diesen Teil unserer Vergangenheit. Es gab wenige Personen in dieser Stadt, die früher über dieses grausige Geschehen an diesem, an diesen Orten nachdachten. 1962 wurde ein Gedenkstein im Höhenpark Killesberg errichtet. Oberbürgermeister Klett bei der Gedenkfeier: „ Ich bin glücklich darüber, dass dieser Gedenkstein als Mahnmal gerade mitten in dieses bunte Leben und Treiben unseres Höhenparks unübersehbar hineingestellt steht und jeden daran erinnert an das, was nicht wiedergutzumachen ist. Ich werde die Stunden in meinem Leben nie vergessen, wo ich ( Juni 1945) den meisten der nur 53 aus Theresienstadt Zurückgekommenen die Hand drücken durfte.“ An der Martinskirche, direkt am Deportationsort im Nordbahnhof, wurde 1991 eine Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht: „Zur Erinnerung. Zum Gedenken. Zur Mahnung. An dieser Kirche vorbei wurden zahllose, vor allem jüdische Opfer des nationalsozialistischen Unrechtssystems zu den Bahngleisen des Nordbahnhofs geführt und in Elend und Tod geschickt. Unter den Augen der evangelischen Martinsgemeinde wurden sie deportiert.“
Der Infoladen in der Martinskirche, die Stiftung Geissstrasse Sieben nahmen Ende des vergangenen Jahrhunderts den Faden der Erinnerung auf.
Es gibt ja viele Möglichkeiten mit denen ein Ort, eine Stadt ihre Erinnerungen wach halten, pflegen kann. Dazu Hoffmann – Axthelm: „Das historische Erinnern wird immer ärmer an Gesellschaft wie Örtlichkeit, an Gegenständen, Räumlichkeit, Körperlichkeit“. Das Erinnern sei als Politik, Therapie und Ästhetik ein gesellschaftliches Projekt, das man radikal betreiben müsse. „Radikale Erinnerungsarbeit im politischen, therapeutischen und ästhetischen Sinne kann aber nur in dem Versuch bestehen, durch die gespürte Gegenwart (und das ist immer etwas Örtliches, Räumliches, Körperliches, Sinnlich- Atmosphärisches) Geschichte wahrnehmbar zu halten, das heißt durch Anstrengung der Einbildungskraft an einem konkreten Ort möglichst vielen Menschen eine entsprechende Erfahrung zu vermitteln und den Orten nicht ihre Erzählfähigkeit als „Texte“ vergegenständlichter Geschichte zu rauben“ (Gert Selle). Zukunft, Geschichte kann jedoch nicht gelingen, wenn die Orte nicht vorhanden sind, verschwinden, an denen sich diese Erfahrung „sinnlich verdichtet tradieren kann“. Jean Christoph Ammann. „Wir bestehen aus Bildern und aufgrund von Bildern. In ihnen und durch sie sind und werden wir. Wir erinnerten uns an nichts, würden wir unsere Bilder verlieren. Ohne sie gäbe es die Welt nicht. Und ohne sie gäbe es auch uns nicht.“ Doch wir haben fast alles saubergeputzt, Spuren und damit Erinnerungen getilgt.
Der traurige Ort des Geschehens von dem aus die Deportationen im Nordbahnhof stattfanden ist noch weitgehend vorhanden, überlebte in Stuttgart: Die Bahngleise, die Schienen mit ihren Holz- und Metallschwellen mit eingelassener Firmenherkunft „Krupp, bzw. Thyssen, bzw. MH 1933“, Teile der Rampe, die Prellböcke. Diese Spuren sollen nicht verwischt werden, sonst würde der Ort seine Erzählfähigkeit verlieren. Narben erzählen mehr als glatte Haut. Deshalb wurde 2oo1/2oo2 ein Wettbewerb für die Gestaltung dieses Ortes unter jungen Architekten ausgeschrieben diesen Ort als ZEICHEN DER ERINNERUNG und als Ort des Gedenkens zu erhalten und zu gestalten. Der zurückhaltende, den Geist des Ortes berücksichtigende Entwurf von Anne-Christin und Ole Saß erhielt den 1. Preis. Der für die „Planung, Realisierung und Pflege der Gedenkstätte“ am 2o.Juli 2oo4 gegründete gemeinnützige Verein ZEICHEN DER ERINNERUNG hat den Auftrag für die Ausführung Anfang 2oo5 erteilt.
Ein bescheidener, eindringlicher, stiller und zum Nachdenken anregender Ort soll entstehen. Aus dem Erläuterungsbericht zu dem Entwurf:
„Wesentliches Entwurfsprinzip ist es, die Eigenarten des authentischen Ortes zum Thema, sichtbar zu machen. Zwei Zugänge eröffnen sich zum Thema: Zum einen ein emotionaler Zugang über die sinnliche Erfahrung des Ortes, zum anderen ein rationaler Zugang über den Informationsbereich. Es ist vorgesehen, die Schienen unverändert zu erhalten, Schotter zwischen den Gleisen auf der gesamten Fläche zu verteilen. Ein leicht erhöhter Beton-Umgang, der Passepartoutartig die Gleise und Schotterfläche einfassen wird, lässt das Betrachten der Anlage aus verschiedenen Richtungen zu und regt an über das grausige Geschehen an diesem Ort nachzudenken, zu gedenken. Der nördlich über das Passepartout hinausführende Schienenweg soll als „Gleispark“ gestaltet werden. Der Informationsbereich gibt Auskunft über die Geschichte der Deportation (zeitlicher Ablauf, Daten, Personen, Zielorte) und über das Schicksal der deportierten Personen.“
Mit dieser Gedenkstätte wollen wir die uns bewegenden Fragen positiv beantworten:
° Das fast Vergessene als Teil der eigenen Geschichte an diesem Ort zu bewahren, als Erinnerung an die folgenden Generationen weiterzugeben.
° Diese Vergangenheit soll durch die authentischen Bilder lebendige Erinnerung, Kontinuität der Erinnerung, Zukunft der Erinnerung, vor allem Verantwortung provozieren.
° Dieser konkrete Ort, die Architektur des Ortes soll das Nicht-Darstellbare, dieses unmenschliche Geschehen versuchen darzustellen und damit beitragen den Gedächtnisschwund zu stoppen, Erinnerungsarbeit zu leisten.
° Aus einem Ort, der das Ergebnis von unmenschlichem Denken, von Vergessen war, soll ein Ort werden, zum Nachdenken, zum Vordenken. Denn unsere Verantwortung bezieht sich nicht nur auf gestern und vorgestern, sondern auf das was heute und morgen sein kann, sein soll – oder nicht sein soll. Erinnern ohne Zukunft ist ohne Hoffnung, ist blind.
Wir wissen um das Dilemma der Gestaltung solcher Orte, Berlin und andere Mahn- und Denkmale als Beispiele vor Augen. Die Gefahren des Pathos, der Ästhetisierung, des sich zum überflüssigen Symbol-Aufblähens. Wir sind der Meinung, dass Architektur, ein sinnlich erlebbarer, konkreter Ort dazu beitragen kann. Doch dies kann nur ein bescheidener – dieses Wort kommt ja von Bescheid wissen – ein prägnanter, unverwechselbarer, die eingesetzten Mittel auf das Wesentliche reduzierender Ort, ein Ort des Maßes und der leisen Töne leisten. Vor allem ein stiller Ort. Stille ist ja mehr als die Abwesenheit von Lärm, von akustischem und visuellem. Sie ist die Voraussetzung Nachdenken, Vordenken zur Entfaltung zu bringen, zu sich selbst, zu den Dingen zu kommen. Wir wissen, das Einfache ist immer das Schwierigste.
Wir haben einen Entwurf der dies leisten kann, leisten muss. Er ist nun im Juni 2oo6 Realität geworden. Ein Zeichen der Hoffnung auf eine Welt ohne Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit„ ohne Verletzung der Rechte und Würde anderer Menschen, ein Zeichen für Frieden und Toleranz, auch ein Zeichen der Zukunft in dieser Stadt, mitten im neu entstehenden Rosensteinviertel. Dieser Ort wird und muss ein Stück der Stadt Stuttgart werden. Dies unsere Aufgabe, die Aufgabe des Vereins ZEICHEN DER ERINNERUNG.
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