01.12.2011 · Roland Ostertag

Prof.Roland Ostertag, Zeichen der Erinnerung
Begrüßung am 01.12.2011


Begrüs­sung

Ich begrü­ße Sie sehr herz­lich im Namen des Lan­des, der Stadt Stutt­gart, der Israe­li­ti­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft Würt­tem­bergs, dem Ver­ein ZEICHEN DER ERINNERUNG. Ich begrüs­se die zu Wort Kom­men­den, Schü­ler und Schü­le­rin­nen, die mit Wor­ten und Musik die­sen Abend gestal­ten, die Damen, Frau Andra Sto­ja­nik, Frau Bar­ba­ra Traub, Spre­che­rin des Vor­stands der IRGW, Frau Bar­ba­ra Stau­dach­er, die Her­ren Gene­ral­kon­sul Shalev Schlos­ser, Minis­ter Dr. Nils Schmid, OB Dr. Wolf­gang Schus­ter, Heinz Höger­le, Bür­ger­meis­ter Dr. Mar­tin Schai­rer, Jona­than Wink­ler, Lan­des­rab­bi­ner Net­a­nel Wurmser.

Wes­halb kom­men wir zusam­men? Was geschah hier vor 70 Jah­ren? Im Herbst 1941 began­nen die sys­te­ma­ti­schen Depor­ta­tio­nen. Auf Befehl von Ber­lin muss­ten 16 Städ­te Tau­sen­de ihrer jüdi­schen Mit­bür­ge­rin­nen in Todes­la­ger nach dem Osten depor­tie­ren. Stel­len Sie sich den 01.Dezember 1941 an die­sem Ort vor. 1000 Men­schen jüdi­schen Glau­bens, Bür­ger / Innen die­ser Stadt, Nach­barn von uns, zer­mürbt, ent­wür­digt durch jah­re­lan­ge Demü­ti­gung und Drang­sa­lie­rung, Kin­der, Frau­en, Män­ner wur­den in Hal­len der Reichs­gar­ten­schau auf dem Kil­les­berg zusam­men­ge­trie­ben, an die­sem Ort in Wag­gons gepfercht. Hier die Züge, die wei­nen­den Men­schen, Kin­der, die brül­len­den SS-Leu­te. Am Abend, zu die­ser Zeit, ver­lie­ßen die Depor­ta­ti­ons­zü­ge die Stadt, ihre Hei­mat, Rei­se in den Tod, in 4 eis­kal­ten Tagen nach Riga, dort inner­halb 3 Mona­ten ermor­det. Nur weni­ge über­leb­ten. Auch in Stutt­gart, hier, nahm die Shoa, der Holo­caust sei­nen Anfang, die­se unfass­ba­ren Ver­bre­chen, die­se Mensch­heits­ka­ta­stro­phe, der Anschlag auf die mensch­li­che Exis­tenz, begann die „unaus­lösch­li­che Schän­dung der Mensch­heit”. Auch hier wur­de der Mensch zum Gegen­mensch. „Alles Gesche­he­ne liegt jen­seits der Wor­te, sie rei­chen ein­fach nicht her­an”. Es über­leb­te der Ort, die Schie­nen, die Schwel­len, die Prell­bö­cke, der Schot­ter. Wir hat­ten viel Zeit, es dau­er­te nach einer seit 1945 wäh­ren­den Frie­dens­pe­ri­ode fast zwei Gene­ra­tio­nen bis wir uns an die­sen Ort erin­ner­ten. In Stutt­gart dau­ert man­ches län­ger. 2006 konn­ten wir, der Ver­ein, die­se Gedenk­stät­te der Öffent­lich­keit über­ge­ben. Ein Ort des Gedächt­nis der Stadt. Wir nann­ten ihn ZEICHEN DER ERINNERUNG. Was ist ERINNERUNG?

Mit einer ritua­li­sier­ten jähr­li­chen Kranz­nie­der­le­gung und Reden ist es nicht getan. Trau­er, Ver­pflich­tung, Ver­ant­wor­tung, Respekt alles nur Wor­te. Damit wird die Erin­ne­rung aus­ge­löscht, wird aus dem Geno­zid Gedächt­nis­ver­lust, Memo­ri­zit. Wenn das Han­deln nicht folgt. Wir sind, was wir erin­nern, indem wir uns den Erin­ne­run­gen stel­len, die mich sehen, wir das Schwei­gen in uns zum Spre­chen brin­gen. Han­deln gegen Nicht-Wis­sen, Bequem­lich­keit, Gesicht zei­gen im All­tag. Nicht auf­hö­ren in dem Bemü­hen, die Taten, die Opfer, die Täter der Anony­mi­tät zu ent­rei­ßen, dass nie wie­der so etwas geschieht. Geschich­te ist nur als erin­ner­te, nach vor­ne gewand­te Geschich­te prä­sent. Dies ist har­te Arbeit, Erin­ne­rungs­ar­beit. Erin­ne­rungs­fä­hig­keit bedarf einer fes­ten Ver­or­tung, zu der die erleb­ba­ren Zeug­nis­se ihrer Geschich­te gehö­ren. Erin­nern ohne Ort ist blind. Wir benö­ti­gen Orte der „gewuss­ten Ver­gan­gen­heit”, Spu­ren des grau­en­haf­ten Gesche­hens, “Nar­ben erzäh­len mehr als glat­te Haut”.

Dies die Auf­ga­be die­ses Ortes, der Wand der Namen, damit wird der Erin­ne­rung ein Gesicht gege­ben. Der ein­zi­ge Ort der Welt an dem die­se Men­schen sicht­bar sind, zu uns spre­chen. Die deut­sche Spra­che ist manch­mal phä­no­me­nal: Ver­in­ner­li­chung und Erin­nern haben die­sel­be Stamm­sil­be. Damit wird gesagt: Erin­ne­rung ist ein inne­rer Vor­gang, ein indi­vi­du­el­ler Vor­gang, ist Erin­ne­rungs­ar­beit, Sein und Erin­nern bedin­gen sich wech­sel­sei­tig. Wirk­lich­keit formt sich nur in und mit der Erin­ne­rung. Als Wan­de­rer im Nebel der Erin­ne­rung, im Unauf­hör­li­chen der Erin­ne­rungs­ar­beit wird sie, so sinn­ge­mäß Augus­ti­nus „Gegen­wart des Ver­gan­ge­nen, wird Gegen­wart des Gegen­wär­ti­gen Anschau­ung, wird Gegen­wart des Zukünf­ti­gen Erwartung”.

Ich for­de­re Sie, uns, mich auf, sich den Erin­ne­run­gen zu stel­len, Erin­ne­rungs­ar­beit zu leis­ten, Wun­den offen las­sen, Gesicht zei­gen, Ver­ant­wor­tung über­neh­men, Han­deln gegen die Gefähr­dun­gen, Zei­chen für die Zukunft set­zen, Wär­me in unse­rer kal­ten Welt verbreiten.

Darf ich Sie um 1 Minu­te Stil­le zum Geden­ken an die Opfer, die Men­schen bitten.

Ich dan­ke Ihnen.