* 9. Januar 1885 in Stuttgart,
† 19. Juni 1941 in Mauthausen
»Ein Held ohne Schwert«
»Wir vertrauen darauf, dass dieser neue deutsche Staat, der selbst so viel Sinn für Ehre und Würde hat, auch unserer kleinen Gemeinschaft dieses elementare Gefühl zuerkennt.« Noch 1934 sieht Otto Hirsch voller Hoffnung in die Zukunft der Juden in Deutschland. Erst nach seiner Verhaftung in Folge der Reichspogromnacht 1938 und einer längeren Internierung im Konzentrationslager Sachsenhausen resigniert der gebürtige Stuttgarter und denkt an Flucht. Jedoch nicht an seine eigene: Hirsch hilft Zehntausenden seiner jüdischen Glaubensgenossen unter lebensgefährlichem Einsatz bei ihrer Emigration ins rettende Ausland. Am 26. Februar 1941 wird er verhaftet. Vier Monate später, am 19. Juni, stirbt der Sechsundfünfzigjährige im Konzentrationslager Mauthausen bei Linz.
Neun Jahre lang steht Hirsch im Dienste der Stadt Stuttgart. 1918 schreibt Oberbürgermeister Karl Lautenschlager, dass es »keinen ähnlich befähigten Mann« in der Innenverwaltung gäbe. Als Ratsassessor 1912 eingestellt, wird der fähige Jurist schon nach zwei Jahren zum Rechtsrat befördert. Das württembergische Innenministerium wird auf ihn aufmerksam, seit 1919 ist Hirsch dort für die Wasserwege und Elektrizitätsversorgung zuständig. Für die Weimarer Verfassung formuliert Hirsch die Paragraphen 97 bis 100 über die Wasserstraßen. 1920 vertritt der überzeugte Demokrat bei der Friedenskonferenz in Paris die württembergischen Interessen bei den Plänen zur Internationalisierung der Donau.Von 1921 an Vorsitzender der »Neckar-AG«, wirkt Hirsch entscheidend an den Planungen und ersten Bauabschnitten des Neckarkanals von Mannheim nach Plochingen mit. 1926 gründen Hirsch und Leopold Marx in Stuttgart den »Verein Jüdisches Lehrhaus Stuttgart«, der als Einrichtung der Volksbildung und des interkulturellen Austauschs gedacht ist. Seit 1930 ist Hirsch Präsident des »Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs«, vier Jahre später übernimmt er zudem die Geschäftsleitung der »Reichsvertretung der deutschen Juden«. Öffentlich plädiert er für Recht und Gerechtigkeit, macht seinen Glaubensgenossen Mut und ruft alle deutschen Juden zur Einigkeit auf. Im Juli 1939 wird die Reichsvertretung in der alten Form aufgelöst. An ihre Stelle tritt die Reichsvereinigung, die direkt der Gestapo unterstellt ist, und in der die Mitgliedschaft für alle noch in Deutschland lebende Juden Pflicht ist. Zu dieser Zeit kämpft Hirsch, der zwischenzeitlich in Berlin wohnt, bereits darum, so viele Juden wie möglich ins Ausland zu schaffen. Seinem Sohn und beiden Töchtern gelingt die Flucht, doch seine Frau Martha wird im Oktober 1942 verschleppt und gilt als verschollen. In Stuttgart erinnern die Otto-Hirsch-Brücken im Stadtteil Hedelfingen an den »Held ohne Schwert«, als den ihn sein Freund Leopold Marx 1941 in einem Gedicht ehrt. cp
Paul Sauer: Für Recht und Menschenwürde. Lebensbild von Otto Hirsch (1885–1941). Gerlingen 1985.