vorgetragen von Sonja Felle, Jugendguide im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V. bei der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen.
Die gelernte Krankenschwester und Kauffrau Johanna Gottschalk wurde 1895 im Rheinland geboren und starb 1977 in Johannesburg Südafrika. Sie war ledig und kinderlos. Johanna Gottschalk war in der Weimarer Republik im Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt tätig und übernahm 1932 die Leitung des Israelitischen Landesasyl Wilhemsruhe in Sontheim bei Heilbronn. Nach der Auflösung des Altenheims Sontheim übernahm sie bis Dezember 1941 die Leitung des jüdischen Zwangsaltenheims Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb und ab Dezember 1941 bis zur Auflösung und Deportation das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau bei Heilbronn. Sie begleitete den Transport nach Theresienstadt und arbeitete dort auf den Krankenstationen. Sie wäre beinahe an einer dort grassierenden Krankheit gestorben. Sie konnte am 5.Februar 1945 auf Vermittlung des Internationalen Roten Kreuzes mit 1.200 Befreiten in die Schweiz ausreisen. In Basel war sie im Israelitischen Spital tätig und wanderte 1947 auf Druck der Schweizer Einwanderungsbehörde nach Südafrika aus. Dort arbeitete sie als Krankenschwester in einem Altenheim. Im Alter litt sie massiv an körperlichen und psychischen Beschwerden, die sie sich durch die Verfolgungsmaßnahmen zugezogen hatte.
Sie schreibt Anfang der 1960er Jahren in ihren Erinnerungen, welche in einem Buch von Hans Franke über die Geschichte und das Schicksal der Juden in Heilbronn veröffentlicht worden sind.[1] Die Erinnerungen lauten wie folgt:
„Im August 1942 wurden ca. eintausend Juden aus Württemberg in Stuttgart auf dem Killesberg zusammengebracht und von dort nach Theresienstadt deportiert. Der größte Teil der Leute waren ältere Menschen, sie erlagen bald den Strapazen der unzulänglichen Unterbringungsverhältnisse.“
Wir kamen am Sonntag, dem 22.August 1942, in Bauschowitz an. Das war zu der Zeit die Bahnstation für Theresienstadt. Am Bahnhof stand ein LKW und man forderte ältere Leute auf, diesen Lastwagen zu benutzen, anstatt zu Fuß zu gehen. Circa 25–40 Leute wurden auf diesem LKW befördert, aber die wenigsten von Ihnen erreichten Theresienstadt. Ich hörte nämlich am nächsten Tag, als ich nach einigen alten Leuten nachforschte, die zu meiner Gruppe aus Eschenau gehörten, dass der Wagen sich unterwegs überschlagen hatte und die meisten Insassen bei diesem Unfall ums Leben kamen.“
„Der größte Teil der Transportteilnehmer wurde in Theresienstadt in der Dresdner Kaserne auf dem Dachboden untergebracht, d.h. die Leute lagern auf dem Boden. In den ersten Wochen ohne irgendetwas, nur das, was sie auf dem Leib hatten. Die Klosetts waren in einem tieferen Stockwerk und die wenigsten der alten Menschen konnten sie rechtzeitig erreichen, zumal die meisten von ihnen in den ersten Tagen an Durchfall erkrankten. Es gab zu der Zeit natürlich keinerlei Desinfektionsmittel, nicht einmal Eimer und Putztücher. So war es für das Pflegepersonal sehr schwer, den Dachboden sauber zu halten. Die alten Menschen erkrankten fast alle und es …starben in den ersten Wochen täglich zwischen 180 und 200 Menschen! Ich selbst arbeitete auf diesem Dachboden bis Anfang Oktober, dann wurde ich von der Lagerverwaltung in einen Kinosaal geschickt, wo ich als Krankenpflegerin arbeitete. In diesem Kinosaal waren zwischen 90 und 100 Personen untergebracht und jeden Morgen fand ich vier oder fünf Leichen vor.“
„In der Zeit bewohnte ich zusammen mit fünf Frauen ein kleines Zimmer in diesem Block. Jeder versuchte soweit wie möglich sich das Leben und die Arbeit erträglich zu machen. Die größten Schwierigkeiten und Drangsale zu dieser Zeit waren das Ungeziefer, wie Kleiderläuse, Wanzen, Flöhe, Ratten usw. Wer das nicht mitgemacht hat, kann es nicht verstehen.“
„Am 9.November 1943 kam die große Zählung auf den Bauschovitzer Wiesen. Alle Insassen von Theresienstadt, die nur eben gehen konnten, mussten an diesem Tage zu Fuß …gehen. Von sechs Uhr morgens bis 9 Uhr abends waren die meisten dort draußen, ohne eine Möglichkeit zu haben, ihre Notdurft zu verrichten. Viele erkrankten hinterher und natürlich starben auch viele danach.
In der folgenden Zeit kamen natürlich immer neue Transporte in Theresienstadt an und ebenso wurden Transporte von Theresienstadt fortgeschickt, meistens mit der Bezeichnung „In den Osten“. Keiner wusste natürlich genau, wohin diese Transporte gingen und noch viel weniger wussten wir, dass die meisten dieser Menschen in den Gaskammern umgebracht wurden.“
„Im Oktober 1944 wurden von Theresienstadt innerhalb von 4 Wochen in elf Transporten 20.000 Menschen nach dem Osten verschickt.“
Damit endet der Bericht.
[1] Johanna Gottschalk: Zweieinhalb Jahre in Theresienstadt. In: Hans Franke: S. 226–229, hier S. 226 ff.