Im Spätsommer 2019 präsentierte die Künstlerin Lavinia Munteanu im württembergischen Kunstverein – im Rahmen der Mitgliederausstellung – “Eine Erzählung”.
Dazu die Künstlerin:
Mein Projekt ist durch die Lektüre von Maurice Blanchots Kurzerzählung „Der Wahnsinn des Tages“ inspiriert. Außer der grafischen Ausdrucksform habe ich auch eine dichterische und eine assoziative gewählt. Meine Zeichnungen sind von eigenen Gedichten begleitet. Darüber hinaus ergänzen Fotos und Grafiken zur Stuttgarter Geschichte in der NS-Zeit, deren Quelle die Website der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ ist, die Auszüge aus Blanchots Werk. Für die Verwendung der sechs Absätzen von Maurice Blanchot verfüge ich über eine Lizenz. Die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ hat mir freundlicherweise erlaubt, meiner Arbeit die Bilder, welche von ihrer Internetseite stammen, beizufügen.
Eine Abwesenheit von zeitlichen sowie räumlichen Bezugspunkten, wie Jaques Derrida (in „Das Gesetz der Gattung“, Wien 1994) anmerkt, charakterisiert die Kurzgeschichte von Maurice Blanchot. Als Text „ohne Außen“ oder „ohne Rand“ erscheint dieser beinah grenzenlos: Er wird zu einem Möglichkeitsraum viel mehr als zu einem Raum der Ereignisse.
„Folie du maintenant, folie du jour. Folie d’Auschwitz qui n’arrive pas à passer.“ (in eigener Übertragung: Wahnsinn des Tages, Wahnsinn von Auschwitz, welcher nicht vergeht) schreibt Emmanuel Levinas in „Sur Maurice Blanchot“ (Fata Morgana, Montpellier 1975, S. 53–74). Die erste Fassung dieser Kurzgeschichte ist 1949 unter dem Titel „Un récit?“ („Eine Erzählung?“) erschienen. Laut Emmanuel Levinas scheinen dessen 25 Seiten nicht die Spuren der Zeit zu tragen, in der sie geschrieben wurden, obwohl sie vermutlich bald nach der Befreiung verfasst worden sind. Die Erwähnung des „Wahnsinns der Welt“ und der Rückkehr der Welt in ihr Gleichgewicht sagt beinahe nichts über die „psychologische und moralische Färbung“ (Levinas) der Jahre aus, die Europa soeben durchschritten hatte.
Die Unmöglichkeit eines rein narrativen Diskurses wird am Ende der Kurzgeschichte thematisiert: „Ich musste anerkennen, dass ich nicht fähig war, mit diesen Ereignissen eine Erzählung zu formen.“ (S.39)
Wahnsinn von Auschwitz, welcher nicht vergeht. Welche Bedeutung können Ereignisse aus historischer Überlieferung für uns heute haben? Ist das Geschehen im Zweiten Weltkrieg von Undarstellbarkeit geprägt? Meine Arbeit, welche im Rahmen der Mitgliederausstellung “Könnte aber doch” im Württembergischen Kunstverein im August – September 2019 ausgestellt sein wird, ist eine Annäherung an diese schwierigen Fragen, allen voran an die Möglichkeit einer (Neu-)Erzählung und Reaktualisierung der Vergangenheit durch Kunst. Denn nur eine Verinnerlichung des grausamen Geschehens in einer längst vergangenen Zeit kann vor Wiederholung in der Zukunft schützen.
Die Arbeit besteht aus 12 Segmenten, die im WKV folgendermaßen gehängt waren:
Nachfolgend die 12 Einzelbilder, in der Reihenfolge v.l.n.r. – oben / unten: