* 16. Juli 1903 in Stuttgart,
† 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main
Vom Emigrant zum Generalstaatsanwalt
Fritz Bauer muss 1936 aus Deutschland fliehen. Als Sohn deutsch-jüdischer Eltern und aktiver Sozialdemokrat ist er bereits früh Verfolgungen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Er gehört nach dem Krieg zu den wenigen Juristen der frühen Bundesrepublik, die sich für eine juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen einsetzten: »Bewältigung unserer Vergangenheit heißt Gerichtstag halten über uns selbst […]. Ich sehe darin nicht, wie ein Teil meiner Kritiker […], eine Beschmutzung des eigenen Nestes; ich möchte annehmen, das Nest werde dadurch gesäubert.« Bauer, der von 1912 bis 1921 das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart besucht, wird 1930 nach einem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Richter am Amtsgericht Stuttgart. Nach seiner Amtsenthebung und mehrmonatigen KZ-Haft 1936 emigriert er nach Dänemark. Nach der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wird er 1943 zusammen mit den dänischen Juden in das sichere Schweden gerettet. Mit Willy Brandt gründet er die Sozialistische Tribüne, das Organ der sozialdemokratischen Partei im Exil. 1949 hilft ihm Kurt Schumacher bei der Rückkehr nach Deutschland. Bauer wird Generalstaatsanwalt in Braunschweig und führt dort seinen ersten richtungsweisenden Prozess gegen Otto-Ernst Remer. 1952 hatte Remer, der 1944 maßgeblich an der Niederschlagung des Umsturzes beteiligt war, die Widerstandskämpfer des 20. Juli öffentlich als Hochverräter bezeichnet, wofür er sich vor Gericht verantworten muss. Bauer führt mehrere bedeutende Verfahren, die sich mit dem Unrechtsstaat der Nationalsozialisten befassen. Nicht die Bestrafung der Angeklagten steht für ihn im Vordergrund, sondern vielmehr die Schaffung eines demokratischen Rechtsbewusstseins. 1959 ermittelt Bauer gegen den Arzt und SS-Standartenführer Werner Heyde, der als Leiter der Organisation »T4« maßgeblich an der Ermordung von mehr als hunderttausend behinderten Menschen beteiligt war. Der Auschwitz-Prozess, den Bauer als Generalstaatsanwalt in Frankfurt durchführt, wird zum Meilenstein in der Geschichte der Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit. Achtzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes gewinnt die deutsche Öffentlichkeit ein Bild vom Ausmaß und der Arbeitsweise der Vernichtungsmaschinerie in Auschwitz. Sein letztes Verfahren betrifft die »Schreibtischtäter der Euthanasie«. Mit dem Tod Bauers werden die Vorbereitungen dafür abgebrochen. Der geplante große Prozess gegen die NS-Justiz findet nie statt. cwt
Fritz Bauer: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt a. M. und New York 1998 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 5). www.fritz-bauer-institut.de