* 3. Januar 1892 in Ludwigsburg,
† 3. September 1946 in Stuttgart
Ein Organisator der Vernichtung
Am 3. September 1946 erhängt sich Friedrich Mußgay, der Organisator der Deportationen württembergischer Juden, in seiner Zelle im Stuttgarter Militärgefängnis. Damit entzieht er sich dem Prozess vor einem Gericht der Alliierten, die ihn auf der »List of Potential War Criminals under Proposed US Policy Directives« als Kriegsverbrecher führen.
Friedrich Mußgay wird am 3. Januar 1892 als Sohn des Ehepaars Friedrich und Karoline Mußgay in einfache Verhältnisse hineingeboren. Über die Schulbildung versucht Mußgay aus den engen familiären Verhältnissen auszubrechen: Nach der Volks- und Mittelschule besucht er auch die Höhere Schule. Auf der Verwaltungsfachschule, die er mit der Note »befriedigend« absolviert, lernt er Robert Scholl kennen, den Vater von Sophie und Hans Scholl. Während des Ersten Weltkriegs ist Mußgay Soldat, ihm werden das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse verliehen. Noch im Kriegsjahr 1917 tritt er eine Stelle bei der Polizeidirektion in Stuttgart an. Aus der 1918 mit Emma Schanbacher geschlossenen Ehe gehen die Söhne Fritz und Manfred hervor. 1. April 1938. Mußgays antidemokratische Haltung festigt sich in den folgenden Jahren, in denen er sich bei der Politischen Polizei als »Kommunistenjäger« einen Namen macht. Am 1. Mai 1933 tritt er in die NSDAP ein. Bereits am 1. April ist er Mitglied der SS geworden, eine notwendige Voraussetzung, um bei der rasch voranschreitenden Verschmelzung von SS und Polizei weiter Karriere machen zu können. Nach mehreren Beförderungen ist Mußgay Abteilungsleiter im Politischen Landespolizeiamt. Zu seinen Aufgaben zählt auch das Verhören von Gefangenen im Gefängniskeller der Gestapo, was Mußgay auf wüste Art und Weise tut. Allmählich gelangt er in immer höhere Ämter. Er ist auch Teil der Gruppe, die im Protektorat Böhmen und Mähren die Gestapo aufbaut. Am 2. Mai 1940 wird Mußgay zunächst Stellvertreter des Gestapoleitstellenleiters Joachim Boës und im Juli 1941 – nach Boës’ Tod an der Front – Leiter der Stuttgarter Gestapo. Zur selben Zeit tritt Mußgay aus der evangelischen Kirche aus. Er organisiert Hinrichtungen und stellt Anträge zu außerjustiziellen Hinrichtungen von Zwangsarbeitern an das Reichssicherheitshauptamt. Als Leiter der Stuttgarter Stapoleitstelle hat Mußgay eine ›Scharnierfunktion‹: zum einen nach ›oben‹, zum Reichssicherheitshauptamt – der Zentrale des Terrors« –, zum anderen nach ›unten‹, wo er die Durchführung des Terrors organisatorisch sicherstellt. Die neue »Asozialen«-Politik, die per Landesfürsorgegesetz vom März 1940 verkündet wird, erweitert Mußgays Arbeitsfeld: Er unterzeichnet nun auch Einweisungsverfügungen für »Asoziale und Alkoholkranke« ins Welzheimer Gestapogefängnis. Und Mußgay ist es, der die erste Deportation württembergischer Juden am 1. Dezember 1941 nach Riga organisiert. Auch die weiteren Deportationen werden von Mußgay geplant und in die Wege geleitet. Seine Kompromisslosigkeit zeigt sich, als er 1943 in die Verfolgung der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« um Hans und Sophie Scholl einbezogen wird, und er einer Strafverschärfung für Robert Scholl nicht widerspricht, obwohl zu ihm ein freundschaftlicher Kontakt besteht. 1943 bekommt Mußgay den hohen Rang eines SS-Obersturmbannführers, am 1. November 1943 wird er zum Oberregierungs- und Kriminalrat ernannt. In Erwartung der Alliierten wird die Stapoleitstelle am 11. April 1945 aufgelöst. Noch in der Nacht vor seiner Flucht am 20. April 1945 werden Häftlinge von der Gestapo ermordet. Einen Hinrichtungsbefehl für Mitglieder der Widerstandsgruppe Schlotterbeck aus Stuttgart-Luginsland lässt Mußgay ebenfalls noch am 19. April ausführen. Mußgays Flucht endet allerdings schon im April oder Mai 1945 mit seiner Verhaftung. ah
Jürgen Schuhladen-Krämer: Die Exekutoren des Terrors. Hermann Mattheiß, Walther Stahlecker, Friedrich Mußgay, Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle. In: Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg. Hrsg. von Michael Kißener und Joachim Scholtyseck. Konstanz 1997 (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2).
S. 405–443. Zu Mußgay v. a. S. 406 und S. 432–441.