20.03.2005 ⋅ Salomon Korn

VORTRAG von Dr. Salo­mon Korn, Vize­prä­si­dent des Zen­tral­rats der Juden in Deutsch­land am Sams­tag 20.März 2005, im Alten Schau­spiel­haus, Klei­ne Königstras­se 9, Stutt­gart, bei einer Ver­an­stal­tung des Ver­eins ZEICHEN DER ERINNERUNG.


GRENZEN DER ERINNERUNG. GRENZEN DER DENKMALSKUNST

GRENZEN DER ERINNERUNG

»(…) Fort­wäh­rend löst sich ein Blatt aus der Rol­le der Zeit, fällt her­aus, flat­tert fort – und flat­tert plötz­lich wie­der zurück, dem Men­schen in den Schoß. Dann sagt der Mensch »ich erin­ne­re mich und benei­det das Tier, wel­ches sofort ver­gisst (…). So lebt das Tier unhis­to­risch: denn es geht auf in der Gegen­wart, wie eine Zahl, ohne daß ein wun­der­li­cher Bruch übrig­bleibt (…). Der Mensch hin­ge­gen stemmt sich gegen die gro­ße und immer grö­ße­re Last des Ver­gan­ge­nen (…). Des­halb ergreift es ihn, als ob er eines ver­lo­re­nen Para­die­ses gedäch­te, die wei­den­de Her­de oder, in ver­trau­te­rer Nähe, das Kind zu sehen, das noch nichts Ver­gan­ge­nes zu ver­leug­nen hat und zwi­schen den Zäu­nen der Ver­gan­gen­heit und der Zukunft in über­se­li­ger Blind­heit spielt.” (1)

So heißt es zu Beginn von Fried­rich Nietz­sches kul­tur­kri­ti­scher Schrift „Vom Nut­zen und Nach­teil der His­to­rie für das Leben”. Und an ande­rer Stel­le fährt er fort:

Zu allem Han­deln gehört Ver­ges­sen: wie zum Leben alles Orga­ni­schen nicht nur Licht, son­dern auch Dun­kel gehört. Ein Mensch, der durch und durch nur his­to­risch emp­fin­den woll­te, wäre dem ähn­lich, der sich des Schla­fens zu ent­hal­ten gezwun­gen wür­de, oder dem Tie­re, das nur vom Wie­der­käu­en und immer wie­der­hol­ten Wie­der­käu­en leben soll­te. Also: es ist mög­lich, fast ohne Erin­ne­rung zu leben, ja glück­lich zu leben, wie das Tier zeigt; es ist aber ganz und gar unmög­lich, ohne Ver­ges­sen über­haupt zu leben.” (2)

Und ein Blick in die Geschich­te belegt tat­säch­lich die enge Ver­zah­nung zwi­schen Erin­nern und Ver­ges­sen. Zumin­dest bis ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein wird nach Krie­gen, Strei­te­rei­en und Aus­ein­an­der­set­zun­gen immer wie­der beschlos­sen, ver­ein­bart, ein­ge­schärft, dass Ver­ges­sen sein soll – Ver­ges­sen von vie­ler­lei Unrecht, Grau­sam­keit, Bösem aller Art. Den Grie­chen wird jenes Wort ver­dankt, das ursprüng­lich „Nicht-Erin­nern” heißt: Amnes­tie. Es war Grund­la­ge zahl­rei­cher Frie­dens­schlüs­se. So heißt es nach dem Ende des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges in einem Pas­sus des West­fä­li­schen Frie­dens: „Bei­der­seits soll das ewig ver­ges­sen und ver­ge­ben, alle Belei­di­gun­gen, Gewalt­tä­tig­kei­ten, Scha­den und Unkos­ten der­art gänz­lich abge­tan sein, daß alles in ewi­ger Ver­ges­sen­heit begra­ben sei.” Ähn­li­ches ver­fügt Hein­rich IV. im Edikt von Nan­tes, und 1814 wird die glei­che Metho­de auf die Unta­ten und Greu­el der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on angewandt.

Der Wunsch, Ver­ges­sen zu stif­ten, ist kei­nes­wegs auf Euro­pa beschränkt. Auch das „Begra­ben des Kriegs­beils” bei den India­nern gehört hier­her: Man darf es nicht ein­fach weg­wer­fen, sonst könn­te es wie­der­ge­fun­den werden.

Doch vor allem in der euro­päi­schen Geschich­te wur­de über mehr als zwei Jahr­tau­sen­de hin­weg nach Krie­gen, Bür­ger­krie­gen, Revo­lu­tio­nen beschlos­sen, das Gesche­he­ne zu ver­ges­sen. Straf­lo­sig­keit soll­te gel­ten. Ver­mut­lich zeigt sich dahin­ter die Ver­nunft von Gene­ra­tio­nen, die leid­voll gelernt haben, dass irgend­wann jeder Kon­flikt ein Ende fin­den muss, wenn Krieg, Bür­ger­krieg und Revo­lu­ti­on nicht „fort­zeu­gend Böses gebä­ren” sol­len. Dies gilt jedoch vor allem für Kom­bat­tan­ten: Je gleich­ran­gi­ger die Geg­ner sind oder sich als sol­che ein­schät­zen, des­to eher ist es ihnen mög­lich, gegen­sei­tig zuge­füg­tes Leid zu vergessen.

Erin­ne­rung lässt sich nicht ohne wei­te­res wil­lent­lich durch Ver­trä­ge til­gen. Damit wäre näm­lich in Kauf genom­men, dass kei­ne „Schutz­wäl­le der Erin­ne­rung” gegen­über spä­te­ren Wie­der­ho­lun­gen einst­ma­li­ger Kon­flik­te errich­tet werden.

Spä­tes­tens seit Ausch­witz besitzt das durch die Geschich­te hin­durch zu beob­ach­ten­de Phä­no­men des ver­trag­lich ver­ord­ne­ten Ver­ges­sens kei­ne Gül­tig­keit mehr. Die Erin­ne­rung an Ver­bre­chen jen­seits mensch­li­cher Vor­stel­lungs­kraft hat nun­mehr eine neue Bedeu­tung erlangt: Es soll und muss ihrer erin­nert wer­den, damit das Unge­heu­er­li­che und Unfass­ba­re sich nicht wiederhole.

Wie also erin­nern? Zur Beant­wor­tung die­ser Fra­ge habe ich Neu­es gele­sen und frü­her Gele­se­nes wie­der gele­sen. Jetzt stel­le ich fest: An das meis­te davon erin­ne­re ich mich nicht mehr. Ist das bedau­er­lich? Nur bedingt, denn wenn es für das vor­lie­gen­de The­ma wirk­lich von Bedeu­tung gewe­sen wäre, hät­te ich es ver­mut­lich nicht so schnell ver­ges­sen. In Erin­ne­rung ist mir aller­dings Michel de Mon­tai­gnes Kla­ge über sein schlech­tes Gedächt­nis geblie­ben. Nicht, dass er sich des­sen rüh­men wür­de, nein, aber all­zu groß ist auch sein Bedau­ern nicht über die­se von ihm umstands­los ein­ge­stan­de­ne Gedächt­nis­schwä­che. Ihre Vor­zü­ge sieht er vor allem in sei­nen not­wen­di­ger­wei­se kurz gehal­te­nen Reden, im Umstand, sich viel Über­flüs­si­ges gar nicht erst mer­ken zu müs­sen und erlit­te­ne Krän­kun­gen schnell zu ver­ges­sen. Außer­dem, so Mon­tai­gne, „lachen mich nun die mir ent­fal­le­nen Orte und Bücher, wenn ich ihnen wie­der begeg­ne, stets mit der Fri­sche des völ­lig Neu­en an”. (4) Die­se Gelas­sen­heit kann der Autor der berühm­ten, im 16. Jahr­hun­dert ver­fass­ten „Essais” an den Tag legen, weil er weiß, „daß ein aus­ge­zeich­ne­tes Gedächt­nis oft mit schwa­chem Urteils­ver­mö­gen Hand in Hand geht”. (5) Und so legt er grö­ße­ren Wert auf Ver­stand als auf Buch­wis­sen, denn es ist nicht das Gedächt­nis, son­dern der Ver­stand, der aus allem Nut­zen zieht.

Ähn­lich argu­men­tiert 300 Jah­re spä­ter Fried­rich Nietz­sche in sei­ner ein­gangs zitier­ten Abhand­lung „Vom Nut­zen und Nach­teil der His­to­rie für das Leben”. Wie Mon­tai­gne ver­pönt auch er Fak­ten­wis­sen und Gelehr­sam­keit, wenn sie nicht im Diens­te einer kri­ti­schen, dem Leben zuge­wand­ten Geschichts­be­trach­tung ste­hen. Alles, was von die­sem Ziel fort­führt, darf dem Ver­ges­sen anheim­fal­len. Wie also erinnern?

An Mon­tai­gne und Nietz­sche geschult lau­tet eine ers­te Ant­wort dar­auf: kri­tisch gegen­über dem Gegen­stand der Erin­ne­rung. Dies gilt, in Anleh­nung an Nietz­sche, glei­cher­ma­ßen gegen­über der Geschichts­schrei­bung, die zwar nicht iden­tisch mit Erin­ne­rung ist, sich aber in Teil­be­rei­chen mit ihr über­schnei­det. His­to­rio­gra­fie ver­sucht Ereig­nis­se der Geschich­te, die schrift­li­chen und münd­li­chen Erin­ne­run­gen an sie, mög­lichst objek­tiv zu ermit­teln, auf­zu­zeich­nen und wei­ter­zu­ge­ben. Bei allem zuge­stan­de­nen Bemü­hen um Objek­ti­vi­tät: Geschichts­schrei­bung kann nicht gänz­lich frei blei­ben von der sub­jek­ti­ven Per­spek­ti­ve derer, die his­to­ri­sche Fak­ten in aus­ge­wähl­te Zusam­men­hän­ge von Ursa­che und Wir­kung stel­len. Doch trotz sol­cher Ein­wän­de gegen eine gänz­lich objek­ti­vier­ba­re His­to­rio­gra­fie: In den meis­ten Fäl­len las­sen sich, zumal im Bereich der neue­ren Geschich­te, Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen über­prü­fen und frag­wür­di­gen Geschichts­be­trach­tun­gen stets plau­si­ble­re entgegensetzen.

Die­se „objek­ti­vie­ren­de” Über­prüf­bar­keit unter­schei­det Geschichts­schrei­bung grund­sätz­lich von Erin­ne­rung. Letz­te­re ist vor allem gekenn­zeich­net durch ihre Bin­dung an ein­zel­ne Men­schen, an deren jeweils unter­schied­lich aus­ge­präg­te Fähig­keit, sich an Erleb­tes, Erzähl­tes, Gele­se­nes, an eige­ne Träu­me und Phan­ta­sien zu erin­nern. Daher sind Erin­ne­run­gen kei­ne „neu­tral” gespei­cher­ten Infor­ma­tio­nen, son­dern an posi­ti­ve oder nega­ti­ve Gefüh­le gebun­de­ne Bil­der und Gedächt­nis­in­hal­te. Die­se affek­ti­ve Ein­fär­bung allein kenn­zeich­net Erin­ne­rung als sub­jek­ti­ves Phä­no­men. Auch wenn meh­re­re Men­schen zur sel­ben Zeit am glei­chen Ort Zeu­gen des­sel­ben Ereig­nis­ses sind, dann wird im bes­ten Fall deren Beschrei­bung der äuße­ren Abläu­fe eini­ger­ma­ßen über­ein­stim­men, die gefühls­mä­ßi­ge Auf­nah­me aber, die Bin­dung des jewei­li­gen Affek­tes an die Erin­ne­rung die­ses Ereig­nis­ses bleibt indi­vi­du­ell und erhält damit für jeden ein­zel­nen Betei­lig­ten unter­schied­li­che Erinnerungsbedeutung.

Neben die­ser sub­jek­ti­ven Qua­li­tät kommt Erin­ne­rung noch eine ziel­ge­rich­te­te und zweck­be­stimm­te zu. Erin­ne­rung dient nicht nur prak­ti­scher Not­wen­dig­keit; sie erfüllt gleich­zei­tig Bedürf­nis­se nach Legi­ti­ma­ti­on, weil sie im Diens­te des jewei­li­gen Men­schen zur Auf­recht­erhal­tung sei­nes Selbst­wert­ge­füh­les und der idea­li­sie­ren­den Selbst­wahr­neh­mung sei­ner eige­nen Bio­gra­fie steht. Daher wan­delt unser stän­dig kon­trol­lie­ren­des Legi­ti­ma­ti­ons­be­dürf­nis für uns unpas­sen­de Erin­ne­run­gen in „pas­sen­de” um.

Im Rah­men des For­schungs­pro­jek­tes „Tra­die­rung von Geschichts­be­wußt­sein” ist der Sozi­al­psy­cho­lo­ge Harald Wel­zer (Uni­ver­si­tät Han­no­ver) der Fra­ge nach­ge­gan­gen, was „ganz nor­ma­le” Deut­sche aus der NS-Ver­gan­gen­heit erin­nern, wie sie dar­über spre­chen und was davon durch Fami­li­en­kom­mu­ni­ka­ti­on an die Kin­der- und Enkel­ge­nera­tio­nen wei­ter­ge­ge­ben wird. (6) In 40 Fami­li­en­ge­sprä­chen und 142 Inter­views stell­te sich unter ande­rem her­aus, dass in Fami­li­en ande­re Bil­der und Vor­stel­lun­gen von der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­gan­gen­heit ver­mit­telt wer­den, als in der Schu­le oder in den Medi­en. Die Kin­der und Enkel­kin­der nutz­ten jeden noch so ent­le­ge­nen Hin­weis in den Fami­li­en­er­zäh­lun­gen auf gute Taten ihrer Eltern oder Groß­el­tern, um Ver­sio­nen der Ver­gan­gen­heit mit ihnen als guten Men­schen zu erfinden.

Harald Wel­zer nennt den Vor­gang, in dem aus anti­se­mi­ti­schen Eltern und Groß­el­tern Wider­stands­kämp­fer wer­den, „kumu­la­ti­ve Heroi­sie­rung”. Und weil gera­de gut infor­mier­te Ange­hö­ri­ge der Enkel­ge­nera­ti­on das Bedürf­nis haben, dem eige­nen Groß­va­ter oder der Groß­mutter jeweils die Rol­le der ande­ren, der guten Deut­schen im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen All­tag zuzu­wei­sen, zeigt sich hier nach Wel­zers Auf­fas­sung eine para­do­xe Fol­ge der gelun­ge­nen Auf­klä­rung über die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­gan­gen­heit; Je umfas­sen­der das Wis­sen über Kriegs­ver­bre­chen, Ver­fol­gung und Ver­nich­tung ist, des­to stär­ker for­dern die fami­lia­len Loya­li­täts­ver­pflich­tun­gen, Geschich­ten zu ent­wi­ckeln, die bei­des zu ver­ein­ba­ren erlau­ben – die Ver­bre­chen »der Nazis’ oder ‚der Deut­schen’ und die mora­li­sche Inte­gri­tät der Eltern oder Groß­el­tern.” (7) Dabei liegt die nicht hin­ter­frag­te Anzie­hungs­kraft der Ver­gan­gen­heits­ver­mitt­lung in den Fami­li­en in ihrer Bei­läu­fig­keit. Dies, so Harald Wel­zer, besit­ze etwas Zwin­gen­des: „Die Bil­der und Vor­stel­lun­gen, die dabei trans­por­tiert wer­den, erzeu­gen Gewiß­hei­ten, nicht Wis­sen, und Gewiß­hei­ten sind Kri­tik gegen­über viel resis­ten­ter als ein Wis­sen, das eben auch hin­ter­fragt und kor­ri­giert wer­den kann.”

Wie also erin­nern? In erneu­ter Anleh­nung an Mon­tai­gne und Nietz­sche lau­tet eine wei­te­re Ant­wort: nicht nur kri­tisch gegen­über dem Gegen­stand der Erin­ne­rung, son­dern auch kri­tisch gegen­über dem Erin­ne­rungs­pro­zess selbst. Not­wen­dig ist eine kri­ti­sche Distanz zu den Legi­ti­ma­ti­ons­be­dürf­nis­sen der eige­nen Erin­ne­rung und gege­be­nen­falls auch zu denen der eige­nen Fami­lie. Eine sol­che Ein­stel­lung kann zu hand­lungs­ori­en­tier­ten Fra­gen füh­ren wie: Was wur­de in der eige­nen Fami­lie über die Zeit zwi­schen 1933 und 1945 erzählt? Von wel­chen Recht­fer­ti­gungs­ab­sich­ten wur­den die Groß­el­tern oder Eltern dabei mög­li­cher­wei­se gelei­tet? War man viel­leicht selbst unwis­send Teil eines idea­li­sie­ren­den Erin­ne­rungs­sys­tems gewesen?

Wer­den „objek­ti­ve” Geschichts­er­eig­nis­se Teil des nach dem Legi­ti­ma­ti­ons­prin­zip arbei­ten­den Erin­ne­rungs­ap­pa­ra­tes, dann unter­lie­gen sie eben­so gefühls­mä­ßi­ger Ein­fär­bung und selek­ti­ver Wahr­neh­mung wie Erin­ne­rung selbst. Ist dies bei aller zuge­ge­be­ner Gefahr, die dahin­ter steckt, grund­sätz­lich und in allen Fäl­len abzu­leh­nen? Wer sich mit dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Jahr­hun­dert­ver­bre­chen und des­sen bis heu­te spür­ba­ren Nach­wir­kun­gen beschäf­tigt, kommt nicht umhin, sich die Fra­ge zu stel­len: Las­sen sich Mit­füh­len, das heißt: par­ti­el­le Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Opfern und Wah­rung kri­ti­scher Distanz zum Gegen­stand der Geschichts­schrei­bung vereinbaren?

Wäh­rend der Debat­te um die Errich­tung des „Denk­mals für die ermor­de­ten Juden Euro­pas” wur­de eines deut­lich: Der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Mas­sen­mord an den Juden – und hier ins­be­son­de­re an den deut­schen Juden – wird heu­te von den meis­ten Deut­schen so emp­fun­den, als sei er nicht an Deut­schen, son­dern „nur” an Frem­den ver­übt wor­den. Das Gefühl einer zivi­li­sa­to­ri­schen und kul­tu­rel­len Selbst­am­pu­ta­ti­on wür­de aber vor­aus­set­zen, die­se Men­schen als Ange­hö­ri­ge des eige­nen Vol­kes, näm­lich als Deut­sche zu betrach­ten – nicht nur ver­bal als „jüdi­sche Deut­sche” oder „deut­sche Staats­bür­ger jüdi­schen Glau­bens”, son­dern – bei aller Dif­fe­renz – schlicht als Deut­sche, die auch Juden waren (oder Juden, die auch Deut­sche waren).

Die­ser iden­ti­fi­ka­to­ri­sche Akt geht über bloß ver­stan­des­mä­ßi­ges Erfas­sen hin­aus und beinhal­tet eine affek­ti­ve Annä­he­rung an die­ses schwie­ri­ge The­ma als Vor­aus­set­zung für Emp­fin­dun­gen wie Trau­er oder Ver­lust. Hier wird deut­lich: Wo man selbst in eine Geschich­te wie die des Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ner Fol­gen ein­ge­bun­den ist, las­sen sich Erin­ne­rung und His­to­rio­gra­fie, Gefühl und Ver­stand nicht ein­deu­tig von­ein­an­der tren­nen. Stets gehen sie eine Ver­bin­dung ein, in der es nur schwer­lich zu einem dau­er­haf­ten Gleich­ge­wicht zwi­schen gefühls­ge­lei­te­ter Erin­ne­rung und distan­zie­ren­der Geschichts­be­trach­tung kom­men kann.

Wenn wir akzep­tie­ren, dass es weder eine beque­me Abkür­zung noch einen erlö­sen­den Königs­weg zu einer Erin­ne­rung als abso­lut ver­läss­li­chem Trä­ger his­to­ri­scher Inhal­te und geschicht­li­cher Leh­ren gibt, wer­den wir auf dem Weg zur Beant­wor­tung der Ein­gangs­fra­ge „Wie erin­nern?” sein. Je mehr wir dabei über Geschich­te und deren selek­ti­ve Über­tra­gungs­mus­ter in unse­re Erin­ne­rung wis­sen und je mehr wir bereit sind, die­ses Wis­sen auch anzu­wen­den, des­to erfolg­rei­cher kön­nen wir unse­re Erin­ne­rung von eige­nen Legi­ti­ma­ti­ons­be­dürf­nis­sen freihalten.

Anmer­kun­gen
1 Fried­rich Nietz­sche, Vom Nut­zen und Nach­teil der His­to­rie für das Leben, zitiert nach: insel taschen­buch 1236, Frank­furt a. M. 1989, S. 13.
2 Fried­rich Nietz­sche, (wie Anm. 1), S. 15.
3 Chris­ti­an Mei­er, Erin­nern-Ver­drän­gen-Ver­ges­sen, in: ders., Das Ver­schwin­den der Gegen­wart, München/Wien 2001, S. 80. Auch die nach­fol­gen­den Bei­spie­le für Frie­dens­schlüs­se sind dem Auf­satz von Chris­ti­an Mei­er entnommen.
4 Michel de Mon­tai­gne, Essais, Ers­te moder­ne Gesamt­über­set­zung von Hans Sti­lett, Frank­furt a. M. 1998, S. 23.
5 Michel de Mon­tai­gne, (wie Anm. 4), S. 20.
6 Harald Wel­zer, „Bei uns waren sie immer dage­gen”: Wie im Fami­li­en­ge­spräch aus Zuschau­ern und Tätern Hel­den des all­täg­li­chen Wider­stands wur­den, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 6. Janu­ar 2001, S. 7.
7 Harald Wel­zer, (wie Anm. 6).
8 Harald Wel­zer, (wie Anm. 6).


GRENZEN DER DENKMALSKUNST

 Über die Dar­stel­lung des Unvor­stell­ba­ren, das Ver­ges­sen und das Gedenken.

Als Moses vom Berg Sinai her­ab­stieg, um den Kin­dern Isra­el die Bun­des­ta­feln mit den Zehn Gebo­ten zu über­brin­gen, sah er die Israe­li­ten um das Gol­de­ne Kalb tan­zen. Die Legen­de besagt, Moses habe bis zu die­sem Augen­blick die schwe­ren Stein­ta­feln mühe­los getra­gen; der den ein­ge­mei­ßel­ten Buch­sta­ben inne­woh­nen­de Geist Got­tes hat­te die Bun­des­ta­feln schwe­re­los gehal­ten. Durch den Fre­vel der Kin­der Isra­el lös­ten sich die gött­li­chen Buch­sta­ben von den Bun­des­ta­feln und ent­schweb­ten zum Him­mel; die Tafeln aber, wie­der schwe­re, unbe­seel­te Mate­rie gewor­den, fie­len zu Boden und zerbrachen.

In die­sem Ereig­nis und der sie beglei­ten­den Legen­de ver­dich­tet sich ein grund­le­gen­der Wesens­zug des Juden­tums: der von Mate­rie und Göt­zen­bil­dern abge­lös­te Mono­the­is­mus: »Du sollst kei­ne ande­ren Göt­ter haben vor mei­nem Ange­sicht. Du sollst Dir kein Bild machen und kei­ner­lei Gestalt von dem, was im Him­mel oben, oder im Was­ser unter der Erde ist.« (1) Das zwei­te Gebot des am Sinai ver­kün­de­ten Deka­logs for­der­te von den Kin­dern Isra­el den end­gül­ti­gen Bruch mit der zu jener Zeit weit­hin ver­brei­te­ten Viel­göt­te­rei. Anstel­le von Göt­zen­bil­dern soll­ten sie von nun an einen ein­zi­gen unsicht­ba­ren Gott ver­eh­ren, der weder Gestalt noch Namen hat­te. Die Erfül­lung die­ser For­de­rung als Grund­la­ge des Bun­des bedeu­te­te für die Israe­li­ten den end­gül­ti­gen Ver­zicht, gött­li­che Macht durch Ver­ge­gen­ständ­li­chung der Gestalt Got­tes magisch ban­nen zu kön­nen; sie war gleich­zei­tig die Aner­ken­nung sei­ner unsicht­ba­ren All­ge­gen­wart, der man nicht ent­flie­hen konn­te, und in letz­ter Kon­se­quenz der Tri­umph der Geis­tig­keit über die Sinn­lich­keit. (2)

Die Auf­he­bung der magi­schen Macht des mate­ria­li­sier­ten Göt­zen­bil­des und deren Über­tra­gung auf einen ent­ma­te­ria­li­sier­ten, unsicht­ba­ren Gott kenn­zeich­net den Über­gang von der an Gegen­stän­de gebun­de­nen, kon­kret-bild­haf­ten Erin­ne­rung zur ent­ma­te­ria­li­siert-abs­trak­ten. Wäh­rend ers­te­re, die kon­kret-bild­haf­te Erin­ne­rung, an bestimm­te Orte, Gegen­stän­de, Ober­flä­chen gebun­den ist und grund­sätz­lich durch Orts­wech­sel abge­legt wer­den kann, ist letz­te­re, die ent­ma­te­ria­li­siert-abs­trak­te, davon los­ge­löst und damit weit stär­ker im Indi­vi­du­um oder Kol­lek­tiv ver­in­ner­licht. Die zuvor erfolg­te Los­lö­sung des Glau­bens von ver­meint­li­cher Magie bestimm­ter Gegen­stän­de, von mate­ri­el­ler Bin­dung über­haupt, war Vor­aus­set­zung und Grund­la­ge einer dau­er­haf­ten, ver­geis­tig­ten, inter­na­li­sier­ten Erinnerung.

Die dar­aus erwach­sen­de, unab­läs­sig täti­ge Aus­ein­an­der­set­zung reli­giö­ser Juden mit ihrem unsicht­ba­ren all­ge­gen­wär­ti­gen Gott, mit ihrer Reli­gi­on und Geschich­te zei­tig­te eine enge Ver­knüp­fung zwi­schen jüdi­scher Geschich­te und kol­lek­ti­vem his­to­ri­schen Gedächt­nis des jüdi­schen Vol­kes. Noch heu­te geden­ken Juden an bestimm­ten Fei­er­ta­gen des vor mehr als 3000 Jah­ren erfolg­ten Aus­zu­ges der Kin­der Isra­el aus Ägyp­ten, des baby­lo­ni­schen Exils im 6. Jahr­hun­dert v. Chr., der Zer­stö­rung des Zwei­ten Tem­pels vor 2000 Jah­ren und wei­te­rer, lan­ge zurück­lie­gen­der, freu­di­ger und trau­ri­ger Ereig­nis­se. Es ist dies ein akti­ves Geden­ken, das bestimm­ten Riten und Ritua­len folgt und über Jahr­hun­der­te hin­weg als fes­ter Bestand­teil jüdisch-reli­giö­sen Lebens leben­dig geblie­ben ist.

Muß das kol­lek­ti­ve his­to­ri­sche Gedächt­nis durch ver­ding­lich­tes Geden­ken, zum Bei­spiel durch Denk­mä­ler anstel­le wie­der­keh­ren­der akti­ver Geden­kri­ten gestützt wer­den, dann bedeu­tet dies die Abkehr vom geis­tig ver­in­ner­lich­ten Geden­ken und Hin­wen­dung zu einem kon­kre­ten, ver­äu­ßer­lich­ten, an bestimm­te Gegen­stän­de gebun­de­nes Geden­ken, zuge­spitzt: Rück­fall in Ido­la­trie, in den Glau­ben an die magi­sche oder dau­er­haf­te Wir­kung von bestimm­ten Gegenständen.

Hier kommt die Kunst ins Spiel und ihr wird als Ersatz für Eigen­an­trieb des Indi­vi­du­ums oder Kol­lek­tivs – näm­lich selbst Erin­ne­rung aktiv auf­recht­zu­er­hal­ten – magi­sche Wir­kung zuge­schrie­ben. Nach Art des Dele­ga­ti­ons­prin­zips soll das künst­le­risch gestal­te­te Denk­mal zumin­dest einen Teil der Erin­ne­rungs­ar­beit erbrin­gen, die das Kol­lek­tiv nicht mehr leis­tet – das Denk­mal erhält Stell­ver­tre­ter­funk­ti­on. Wenn sich Erin­ne­rung im Denk­mal kon­kre­ti­siert, dann hat sie sich für jeder­mann sicht­bar ver­ding­licht; die eige­ne Erin­ne­rung ist gestützt, ent­las­tet und bedarf nicht mehr der­sel­ben Anstren­gung wie zuvor.

Dau­er­haf­te Erin­ne­rung, so die Leh­re aus Ursprung und Geschich­te des Mono­the­is­mus, ist weder an bestimm­te Gegen­stän­de noch an Mate­rie über­haupt gebun­den, son­dern wird durch fort­wäh­ren­de kol­lek­ti­ve Ritua­li­sie­rung trans­ge­ne­ra­tio­nell im Indi­vi­du­um ver­in­ner­licht. Denk­mä­ler als mate­ria­li­sier­te Erstar­rung vor­mals leben­dig-kom­ple­xer Erin­ne­rung bedür­fen zur Ent­fal­tung ihrer begrenz­ten Wir­kungs­mög­lich­kei­ten des inter­es­sier­ten, infor­mier­ten Betrach­ters, der die im Denk­mal künst­le­risch-erstarr­te Erin­ne­rung in eine leben­di­ge zurück­zu­über­füh­ren ver­mag. Gelingt dies nicht, dann hat es sei­nen Zweck ver­fehlt. Mit ande­ren Wor­ten: Schwin­det beim Betrach­ter die his­to­ri­sche Erin­ne­rung, dann schwin­det die Mög­lich­keit des dia­lo­gi­schen Prin­zips zwi­schen Mahn­mal und Betrach­ter. Auf­grund die­ser dia­lo­gi­schen Wir­kungs­wei­se kön­nen Denk­mä­ler allein kei­ne Ver­si­che­rung gegen Ver­ges­sen sein. Immer wie­der sind die letzt­ge­nann­ten Argu­men­te im Zusam­men­hang mit Mahn­ma­len, die in Deutsch­land an den Holo­caust erin­nern, vor­ge­bracht wor­den. Hier hin­ter­ließ der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Mas­sen­mord an den euro­päi­schen Juden eine trau­ma­ti­sche Belas­tung des natio­na­len Selbst­ver­ständ­nis­ses. Wie bei psy­chi­schen Trau­ma­ta üblich, reagier­ten vie­le Deut­sche mit Abwehr, Leug­nung, Ver­drän­gung der eige­nen Geschich­te, ver­stärkt durch Flucht in einen hek­ti­schen Wie­der­auf­bau. Das dar­aus ent­wi­ckel­te his­to­ri­sche Gedächt­nis muß­te zwangs­läu­fig unscharf blei­ben. So beschrän­ken sich vie­le der nach 1945 errich­te­ten Mahn­ma­le auf die For­mu­lie­rung pazi­fis­ti­scher All­ge­mein­plät­ze. Es über­wiegt der alle besänf­ti­gen­de Wunsch, die Über­le­ben­den zu Frie­den und Mensch­lich­keit zu ver­pflich­ten, ohne eine Prä­zi­sie­rung der Inhal­te vor­zu­neh­men, deren man gedenkt.

Indem sich Denk­mä­ler einer Aus­sa­ge über Schul­di­ge ent­hal­ten, ver­schlei­ern und ver­leug­nen sie – spie­gel­bild­lich zur See­len­la­ge wei­ter Bevöl­ke­rungs­krei­se – Ursa­chen und Hin­ter­grün­de der Kriegs­ka­ta­stro­phe. Eine Mahn­mals­po­li­tik herrsch­te vor, deren Vor­bil­der Plas­ti­ken und Denk­mä­ler aus der Zeit nach dem Ers­ten Welt­krieg sind: Im Zen­trum steht das Opfer, des­sen künst­le­ri­sche Dar­stel­lung oft christ­li­cher Iko­no­gra­phie ent­lehnt ist. In reli­gi­ös ein­ge­färb­ter Ver­klä­rung des uner­meß­li­chen Leids löst sich jede Kon­kre­ti­sie­rung der Ereig­nis­se ins All­ge­mein­mensch­li­che, ja, Kos­mi­sche auf – Aus­druck eines fli­cken­haf­ten his­to­ri­schen Gedächt­nis­ses und Aus­druck der Unfä­hig­keit zu auf­rich­ti­ger Trauer.

Es war ver­mut­lich der Wech­sel von Kriegs- zu Nach­kriegs­ge­nera­ti­on samt dem Ein­fluß der acht­und­sech­zi­ger Bewe­gung auf die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Gesell­schaft, der eine Ände­rung des Geschichts­be­wußt­seins und damit des his­to­ri­schen Gedächt­nis­ses in wei­ten Krei­sen der aka­de­mi­schen Jugend und kri­ti­scher Intel­lek­tu­el­ler ein­lei­te­te. Das ver­än­der­te Geschichts­be­wußt­sein hin­sicht­lich des Natio­nal­so­zia­lis­mus stell­te auch bis­he­ri­ge For­men des Geden­kens in Fra­ge. In die­sen Jah­ren ent­stand gegen her­kömm­li­che Gedenk­stät­ten und ihren Anspruch auf All­ge­mein­gül­tig­keit die Bewe­gung der soge­nann­ten Gegen- oder Anti­den­k­mä­ler. Wor­auf es ankom­me, so ihre Maxi­me, sei vor allem die pro­zes­sua­le Dimen­si­on des kol­lek­ti­ven his­to­ri­schen Gedächt­nis­ses, die The­ma­ti­sie­rung von Ver­ges­sen und Ver­drän­gen, von Wie­der­erin­nern, Deu­ten und Umdeuten.

Eine neue Künst­ler­ge­nera­ti­on stell­te Denk­mä­ler als Trä­ger öffent­li­cher Erin­ne­rung radi­kal in Fra­ge. Sie erschwer­te eher Erin­ne­rung, statt sie anzuregen.

Horst Hoh­ei­sel zum Bei­spiel ließ 1987 in Kas­sel den 1908 von einem frü­he­ren jüdi­schen Bür­ger gestif­te­ten, 1939 von den Nazis zer­stör­ten Brun­nen in Nega­tiv­form wie­der­erste­hen, indem er ihn rekon­stru­ier­te und umge­kehrt in die Erde ver­senk­te. Das Kas­se­ler »Denk­loch« soll­te als »nega­ti­ves« Spie­gel­bild des frü­he­ren Brun­nens die Geschich­te des Ortes als eine Wun­de und offe­ne Fra­ge in das Bewußt­sein der Öffent­lich­keit retten.

Das 1986 von Jochen und Esther Gerz errich­te­te Har­bur­ger »Mahn­mal gegen den Faschis­mus«, eine zwölf Meter hohe, blei­ver­klei­de­te Säu­le, lud den Betrach­ter dazu ein, sei­nen Namen in sie ein­zu­rit­zen, um, abschnitts­wei­se voll­ge­schrie­ben, Stück für Stück in die Erde ver­senkt zu wer­den. Die Bür­ger muß­ten die­ses Mahn­mal in Gebrauch neh­men, sonst wäre es als Mene­te­kel dafür sicht­bar geblie­ben, daß zu weni­ge sich mit ihrem Namen gegen den Faschis­mus bekannt hat­ten. Gera­de weil die Säu­le lang­sam ver­schwand, war sie dem Bewußt­sein der Öffent­lich­keit näher, als star­re, „ewig­wäh­ren­de” Denk­mä­ler, die man jeder­zeit belie­big auf­su­chen kann. Im Jahr 1993 war die Säu­le voll­stän­dig ver­senkt – unsicht­bar gewor­den wie die ver­schwun­de­nen Opfer des Nationalsozialismus.

Die Abkehr von her­kömm­li­chen star­ren, ver­ding­lich­ten Denk­mä­lern und Hin­wen­dung zu all­mäh­lich ver­schwin­den­den oder unsicht­ba­ren Instal­la­tio­nen ist mehr als nur eine Anspie­lung auf den jüdi­schen Schrift­glau­ben und das Bil­der­ver­bot. Es ist die Abwen­dung von ido­la­tri­schen, ver­ding­lich­ten Denk­mal­vor­stel­lun­gen und in gewis­ser Wei­se eine Rück­kehr zum Sinai, zur Auf­for­de­rung fort­wäh­ren­der eigen­ver­ant­wort­li­cher, geis­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Geschich­te, mit kol­lek­ti­ver und indi­vi­du­el­ler his­to­ri­scher Erin­ne­rung. In die­ser Pha­se kri­ti­scher Mahn­mals­de­bat­ten for­der­te die Fern­seh­jour­na­lis­tin Lea Rosh 1988 die Errich­tung eines »Denk­mals für die ermor­de­ten Juden Euro­pas« in Ber­lin. Sie stieß auf offe­ne Ohren.

Kurz vor dem Mau­er­fall wur­de im Novem­ber 1989 mit vie­len pro­mi­nen­ten Mit­glie­dern der »För­der­kreis zur Errich­tung eines Denk­mals für die ermor­de­ten Juden Euro­pas e. V.« gegrün­det.  (3) Im Früh­jahr 1992 erklär­te der Bund sei­ne Bereit­schaft, gemein­sam mit dem Land Ber­lin und dem För­der­kreis die Trä­ger­schaft für das Denk­mal zu über­neh­men. Weni­ge Mona­te spä­ter ent­schied das Innen­mi­nis­te­ri­um unter Rück­sicht­nah­me auf den Stand­punkt des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land, kein gemein­sa­mes Mahn­mal für die ermor­de­ten Juden und die Sin­ti und Roma zu errich­ten. Im Novem­ber 1992 stand fest, daß das »Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas« auf einem Grund­stück des Bun­des süd­lich des Bran­den­bur­ger Tors, in den ehe­ma­li­gen Minis­ter­gär­ten, errich­tet wer­den soll. Bund und Land Ber­lin ver­pflich­te­ten sich, die Hälf­te der Rea­li­sie­rungs­kos­ten zu über­neh­men; die ande­re Hälf­te will der »För­der­kreis« durch Spen­den aufbringen.

Im April 1994 wur­de von den Aus­lo­bern Bund, Land Ber­lin und För­der­kreis ein anony­mer bun­desof­fe­ner künst­le­ri­scher Wett­be­werb mit zwölf ein­ge­la­de­nen inter­na­tio­na­len Künst­lern für das geplan­te »Denk­mal« aus­ge­schrie­ben. Etwa 2600 Künst­ler for­der­ten die Wett­be­werbs­un­ter­la­gen an, 528 Ent­wür­fe wur­den bis zum 28. Okto­ber 1994 abge­ge­ben. Das fünf­zehn­köp­fi­ge Preis­ge­richt ver­gab nach fünf Sit­zun­gen am 16. März 1995 zwei gleich­ran­gi­ge ers­te Prei­se, einen an Simon Ungers (Köln) und einen wei­te­ren an die Künst­ler­grup­pe Chris­ti­ne Jack­ob-Marks, Hel­la Rol­fes, Hans Scheib, Rein­hard Stan­gi (Ber­lin), dane­ben wur­den fünf­zehn wei­te­re Arbei­ten preis­ge­krönt. Bis zum Som­mer soll­te eine Mach­bar­keits­stu­die klä­ren, wel­cher Ent­wurf rea­li­siert wird.

In den fol­gen­den Wochen erschie­nen zahl­rei­che, über­wie­gend ableh­nen­de Kom­men­ta­re zum Ergeb­nis des Wett­be­werbs. Ignatz Bubis kri­ti­sier­te die mons­trö­se Grab­plat­te der Künst­ler­grup­pe um Chris­ti­ne Jack­ob-Marks und gei­ßel­te vor allem den Auf­ruf des För­der­krei­ses, Spen­den über in die Grab­plat­te ein­zu­mei­ßeln­den Opfer­na­men zu sam­meln. Jeder, der ein schlech­tes Gewis­sen habe, so Bubis, kön­ne hier einen Ablaß­han­del mit Namen trei­ben. Im Juni 1995 gab die Senats­ver­wal­tung für Bau- und Woh­nungs­we­sen Ber­lin bekannt, daß der Ent­wurf der Künst­ler­grup­pe um Chris­ti­ne Jack­ob-Marks, die Mega-Grab­plat­te, rea­li­siert wer­den soll. Ende Juni leg­te Bun­des­kanz­ler Kohl sein Veto gegen die­se Ent­schei­dung ein und erklär­te gleich­zei­tig, daß der Bund das vor­ge­se­he­ne Grund­stück für die Rea­li­sie­rung die­ses Ent­wur­fes nicht zur Ver­fü­gung stel­len werde.

Die zunächst favo­ri­sier­te, dann kri­ti­sier­te Mega-Grab­plat­te ist ein wei­te­res Bei­spiel dafür, daß vie­le Deut­sche in einem fort­dau­ern­den schlei­chen­den Pro­zeß seman­tisch auf der Ebe­ne jüdi­scher Opfer ange­langt sind. Wie muß ein his­to­ri­sches Gedächt­nis struk­tu­riert sein, das fünf­zig Jah­re nach Kriegs­en­de im Land der Täter immer noch zum Inden­ti­täts­trans­fer in Rich­tung Opfer neigt? Wenn in Isra­el staat­lich über­höht oder indi­vi­du­ell betrau­ert der Ermor­de­ten gedacht wird, in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten der Holo­caust den dort leben­den Juden als Iden­ti­täts­stüt­ze dient, dann soll­te es in Deutsch­land, dem Land, in dem der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Mas­sen­mord geplant wur­de, eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein, vor allem an die Täter und ihre Taten zu erinnern.

Von den preis­ge­krön­ten Arbei­ten, die dies ver­sucht haben, schei­ter­ten die meis­ten an der Aus­tausch­bar­keit der von ihnen gewähl­ten Gestal­tungs­ele­men­te oder an der Tat­sa­che, daß das dar­zu­stel­len­de Aus­maß des Infer­nos sich nicht sym­me­trisch nach dem Aus­maß von Flä­che und Kuba­tur bemißt. Über­haupt ist es unmög­lich, Ereig­nis­se, die im Hohl­raum der Zivi­li­sa­ti­on statt­ge­fun­den haben, mit den Mit­teln einer Kunst dar­zu­stel­len, die ihre Wur­zeln außer­halb die­ses Hohl­raums hat: »Nur der ver­wand­te Schmerz ent­lockt uns die Trä­ne, und jeder weint eigent­lich für sich selbst« (4), sagt Hein­rich Hei­ne. Dies scheint zwei­er­lei Ver­mu­tun­gen zu bestä­ti­gen. Zuerst, daß viel­leicht nur der unmit­tel­bar betrof­fe­ne Künst­ler, der das ihm ein­ge­brann­te Infer­no über­lebt hat, die­ses authen­tisch dar­stel­len kön­ne. Des wei­te­ren, daß nur der­je­ni­ge, der die­sen Schmerz am eige­nen Leib gespürt hat, ihn auch nach­emp­fin­den kann.

Kön­nen nur über­le­ben­de Künst­ler mit dem ihnen ein­ge­brann­ten Schre­cken das Grau­en des Holo­caust authen­tisch dar­stel­len? Betrach­tet man lite­ra­ri­sche, vor allem aber zeich­ne­ri­sche Wer­ke von Men­schen, die Ver­nich­tungs­la­ger über­lebt haben, dann wird man zuge­ben müs­sen, daß es sich um die auf­wüh­lends­ten, ein­dring­lichs­ten und glaub­wür­digs­ten Zeug­nis­se des Grau­ens han­delt. Auch dem Außen­ste­hen­den, der das Infer­no nicht unmit­tel­bar erlebt hat, teilt sich davon etwas mit, sofern er sich Mit­ge­fühl und Lei­dens­fä­hig­keit bewahrt hat. Doch ist Mit­füh­len und par­ti­el­les Nach­er­le­ben nur mög­lich, weil hier Leid in sei­ner jeweils indi­vi­du­el­len Erfah­rung gezeigt wird. Die Über­le­ben­den selbst woll­ten es nur so; sie wünsch­ten sich bild­li­chen, figu­ra­ti­ven Aus­druck ihres uner­meß­li­chen Leids. Ver­all­ge­mei­nern­de Dar­stel­lun­gen des Infer­nos mit abs­tra­hie­ren­den Gestal­tungs­mit­teln tra­fen ihren Schmerz nicht.

Die über­zeu­gen­de künst­le­ri­sche Trans­for­ma­ti­on per­sön­li­cher Erfah­run­gen aber in die Über­in­di­vi­du­el­le Dimen­si­on der Kata­stro­phe ist – soweit ich es beur­tei­len kann – nicht gelun­gen. Sie kann wahr­schein­lich nicht gelin­gen, weil der künst­le­ri­schen Dar­stel­lung des Holo­caust Gren­zen gesetzt sind, die ich mit »Taschen­lam­pen-Phä­no­men« bezeich­nen möch­te. Ent­we­der ist der pro­ji­zier­te Taschen­lam­pen­strahl gebün­delt, kon­tu­ren­scharf, hell, eine klei­ne Flä­che maxi­mal aus­leuch­tend – dies ent­sprä­che dem Indi­vi­du­el­len, Figu­ra­ti­ven -, oder er ist gestreut, dunk­ler, eine gro­ße Flä­che über­strei­chend – was der Dar­stel­lung ver­all­ge­mei­ner­ter Aspek­te des Holo­caust ent­sprä­che. Aus die­ser Aus­schließ­lich­keit scheint es kei­nen Aus­weg zu geben.

Man stel­le sich vor, es gelän­ge einem Künst­ler vom Ran­ge eines Michel­an­ge­lo, ein Holo­caust-Mahn­mal zu schaf­fen, das bei jedem Betrach­ter ein bis in die Tie­fen sei­ner See­le hin­ab­rei­chen­des »erken­nen­des Erschre­cken« aus­lös­te. Dies käme einer Erlö­sung von dunk­len Bil­dern, Ahnun­gen und Ängs­ten nahe, die alle­samt durch ein sol­ches Mahn­mal fest­um­ris­se­ne Gestalt erhiel­ten und damit in ihm gebun­den, wenn nicht gar gebannt wären. Wei­te­re Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit einem quä­len­den The­ma könn­ten gemil­dert wer­den, wenn ein sol­ches Mahn­mal, einem Göt­zen­bild gleich, einen Teil des frei­schwe­ben­den See­len­po­ten­ti­als aus der Erb­last des Natio­nal­so­zia­lis­mus an sich bin­den könnte.

Wenn also der Kunst die Dar­stel­lung des Unvor­stell­ba­ren nur begrenzt gelin­gen kann, dann ist zu prü­fen, ob authen­ti­sche Orte der Ver­nich­tung künst­le­ri­schen Lösun­gen an nicht­au­then­ti­schen Orten über­le­gen sind. Dabei ist fol­gen­des zu berück­sich­ti­gen: Authen­ti­sche Gedenk­or­te wie Erschie­ßungs­stät­ten, Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­ger kön­nen im jeweils vor­ge­fun­de­nen zufäl­li­gen – meist ver­fal­le­nen – Zustand nichts­sa­gen­de Idyl­len für den Besu­cher sein; Fun­da­men­te von ver­fal­le­nen Bara­cken, zer­stör­ten Gas­kam­mern oder Kre­ma­to­ri­en sagen, für sich genom­men, nichts aus. Stei­ne spre­chen nicht von selbst, sie müs­sen auch am authen­ti­schen Ort erst zum »Spre­chen« gebracht werden.

Des­halb schlie­ßen authen­ti­sche Orte und künst­le­ri­sche Dar­stel­lun­gen des Geden­kens ein­an­der nicht aus. Bei­de kön­nen sich ent­we­der ergän­zen oder auch jeweils für sich selbst ste­hen. Die Gedenk­stät­ten in Treb­linka und Buchen­wald zei­gen, wel­che gelun­ge­ne Ver­bin­dung authen­ti­scher Ort und künst­le­ri­sche Dar­stel­lung mit­ein­an­der ein­ge­hen kön­nen. Ohne gegän­gelt zu wer­den, spürt der Betrach­ter durch ein­fühl­sa­me künst­le­ri­sche Gestal­tung etwas von jener Grau­sam­keit, Bru­ta­li­tät und Aus­weg­lo­sig­keit, die einst an die­sen Orten herrsch­te. Ver­mut­lich gibt es eine Wech­sel­wir­kung zwi­schen authen­ti­schem Ort und sen­si­bel gestal­te­tem Mahn­mal: Wenn ein geglück­tes Mahn­mal den authen­ti­schen Ort zum »Spre­chen« brin­gen kann, dann ver­leiht die­ser dem Mahn­mal etwas von der eige­nen Authen­ti­zi­tät. Doch ist eine solch über­zeu­gen­de Sym­bio­se nur am Ort des Ver­bre­chens möglich.

Was aber gilt für den Nor­mal­fall, für das Mahn­mal am nicht­au­then­ti­schen Ort? Damit keh­ren wir zurück zum Sinai, zum Aus­gangs­punkt unse­rer Über­le­gun­gen. Geden­ken, so die Schluß­fol­ge­rung, ist akti­ve, bewuß­te Zuwen­dung zu bestimm­ten Ereig­nis­sen der Geschich­te und dient damit der Fes­ti­gung des indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven his­to­ri­schen Gedächt­nis­ses. Läßt das leben­di­ge Wech­sel­ver­hält­nis zwi­schen his­to­ri­schem Gedächt­nis und Geden­ken nach, dann bedarf es zur Stüt­zung ersatz­wei­se eines kon­kre­ten Gegen­stan­des, eben eines sinn­li­chen Denk­mals oder Mahn­mals. Man könn­te dies als Abkehr vom ver­in­ner­lich­ten Prin­zip des Geden­kens und Hin­wen­dung zur Ido­la­trie betrach­ten. Doch wäre dies kurz­schlüs­sig, weil damit eine über tau­send­jäh­ri­ge Ent­wick­lung abend­län­di­scher Kunst von der Iko­ne zum Gemäl­de igno­riert wür­de, das heißt die all­mäh­li­che Umwand­lung des ursprüng­lich reli­gi­ös ver­ehr­ten Hei­li­gen­bil­des zum Kunst­werk als Gegen­stand ver­welt­lich­ten Genusses.

In der christ­lich-abend­län­di­schen Kunst, in der das Abbil­dungs­ver­bot des Alten Tes­ta­ments von jeher wenig Gel­tung besaß, wur­de im Lau­fe von Jahr­hun­der­ten – spä­tes­tens seit der Renais­sance – die unmit­tel­ba­re hei­li­ge Ver­eh­rung von Bil­dern, Iko­nen, Sta­tu­en, Got­tes­häu­sern abge­löst durch distan­zie­ren­de, ästhe­ti­sche Wert­schät­zung und kunst­his­to­ri­sches Inter­es­se. Die Ober­flä­chen­wir­kung des nur noch unter ästhe­ti­schen Kate­go­rien genos­se­nen Bil­des ver­selb­stän­dig­te sich zuse­hends vom reli­giö­sen Inhalt der christ­li­chen Iko­ne und domi­niert seit­her unse­re Wahr­neh­mung. Es ist – ver­kürzt betrach­tet — die unum­kehr­ba­re Ent­wick­lung vom unsicht­ba­ren Gott zum Hei­li­gen­bild und vom Hei­li­gen­bild zum ästhe­ti­schen, von reli­giö­sen Inhal­ten eman­zi­pier­ten Bild. Es bräch­te wenig, in kul­tur­his­to­ri­schen Pes­si­mis­mus zu ver­fal­len und den Unter­gang von Lese­kul­tur, abs­trak­tem Den­ken und ande­rer Errun­gen­schaf­ten des nach­gu­ten­ber­gi­schen Zeit­al­ters zu bekla­gen. Dem mono­the­is­ti­schen Prin­zip wohnt schließ­lich auch ein Stück Sin­nen- und Genuß­feind­lich­keit inne. Bil­der kön­nen eine wesent­li­che Berei­che­rung unse­rer Wahr­neh­mung sein, wenn sie nicht ande­re For­men unse­rer Rezep­ti­on beein­träch­ti­gen oder ersetzen.

Ide­al wäre, wenn die gesam­te »ver­in­ner­lich­te« und »ver­äu­ßer­lich­te« Palet­te der Gedenk­mög­lich­kei­ten genutzt wer­den könn­te, um indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve his­to­ri­sche Erin­ne­rung zu bewah­ren. Nichts ande­res wird heu­te im Staat der Juden in Yad Vas­hem ange­strebt und stre­cken­wei­se verwirklicht.

Die begrün­de­te Ver­mu­tung, es kön­ne das Holo­caust-Denk­mal nicht geben, führt nicht not­wen­di­ger­wei­se zu dem Schluß, daß es dann bes­ser kei­nes geben dür­fe. Man kann Erwar­tun­gen und For­de­run­gen an ein sol­ches Mahn­mal so weit nach oben schrau­ben, bis es immun gegen jede Rea­li­sie­rung ist. Es ist aber auch mög­lich, die­se Erwar­tun­gen von vorn­her­ein auf ein rea­lis­ti­sches Maß zu redu­zie­ren, näm­lich auf Beant­wor­tung der Fra­ge, was ein sol­ches Mahn­mal in unse­rer Zeit zu leis­ten ver­mag, wenn doch das abso­lu­te Holo­caust-Mahn­mal gar nicht wün­schens­wert ist. Je weni­ger dem Mahn­mal am Akt des Geden­kens abver­langt wird, des­to mehr muß vom Betrach­ter erwar­tet und erbracht wer­den, so daß die For­de­rung nach dem »abso­lu­ten« Holo­caust-Mahn­mal nichts ande­res ist als die Ent­las­sung des Betrach­ters aus der Not­wen­dig­keit akti­ven Gedenkens.

Ein Mahn­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas kann, wie die Kul­tur­his­to­ri­ke­rin Ste­fa­nie End­lich schreibt, nur Teil »eines Dia­logs in Poli­tik und Kul­tur, am Arbeits­platz und in der Öffent­lich­keit sein. Die­sen Dia­log kann es im bes­ten Fall ver­stär­ken, ver­brei­tern, viel­leicht auch ver­än­dern und zur not­wen­di­gen Ver­un­si­che­rung bei­tra­gen, aber nie­mals erset­zen.« (5)

Sofern nicht reli­gi­ös gestützt, gilt für das Geden­ken Fried­rich Nietz­sches Fest­stel­lung: »Nur was nicht auf­hört, weh zu tun, bleibt im Gedächt­nis.« (6) Weil aber kein Schmerz ewig währt, schwin­det mit der Zeit – und sei es über Gene­ra­tio­nen hin­weg – jede noch so quä­len­de Erin­ne­rung. Zurück bleibt dann bes­ten­falls ein ästhe­tisch anspre­chen­des Denk­mal, in dem das zu geden­ken­de Ereig­nis »gefühls­neu­tral« auf­be­wahrt ist – ähn­lich einem his­to­ri­schen Datum im Gedächt­nis der Zeit­ge­nos­sen. Und soll­ten bis dahin die Leh­ren aus der Geschich­te gezo­gen wor­den sein, dann wäre die unum­gäng­li­che Tat­sa­che erträg­li­cher, daß jedes Denk­mal am Ende zum Denk­mal sei­ner eige­nen Ver­gäng­lich­keit wird.

Anmer­kun­gen:
1 2. Buch Mose 20, 3–4
2 Vgl. Sig­mund Freud, Der Mann Moses und die mono­the­is­ti­sche Reli­gi­on, in: Gesam­mel­te Wer­ke XVI, Frank­furt a. M. 1950, S. 101 ff.
3 Ute Heim­rod, Gün­ter Schlu­sche und Horst Sefe­rens, Der Denk­mal­streit – das Denk­mal? Die Debat­te um das „Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas”. Eine Doku­men­ta­ti­on, Ber­lin 1999, S. 27 ff.
4 Hein­rich Hei­ne, Rei­se­bil­der II: Ita­li­en, Die Bäder von Luc­ca, Kap. I, in: Hein­rich Hei­ne, Sämt­li­che Schrif­ten (hrsg. von Klaus Brie­g­leb), 2. Bd., Mün­chen 1969, S. 396.
5 Ste­fa­nie End­lich, Bei­trag ohne Titel, in: Der Wett­be­werb für das „Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas”, Ber­lin 1995, S. 36.
6 Fried­rich Nietz­sche, Zur Genea­lo­gie der Moral, 2. Abh., in: Fried­rich Nietz­sche, Wer­ke in 3 Bän­den, 2. Bd., Darm­stadt 1963, S. 802.

 

Publiziert in:
Zeichen der Erinnerung…
1. Auflage 2006 (S. 36 – 44)
2. überarbeitete Auflage 2006 (S. 58 – 66)
3. Auflage 2009 (S. 60 – 68)